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Lese-Letter-KW38
Hey *|FNAME|*! Wärst du so mutig wie diese Facebook-Aussteigerin?
Dein Lese-Letter zur Wochenmitte
Hallo !
Heute habe ich einiges für dich im Lese-Letter dieser Woche zusammengetragen:
► Wie es um das Medien-Start-up Buzzard steht► Stellenabbau bei der SZ► Innovationsförderung im Journalismus mit Finanzierungslücke► Mathias Döpfner macht, was Julian Reichelt nicht kann► Ex-Mitarbeiterin wirft Facebook vor, weltweit gezielte Manipulationen zu ignorieren
Nach dem Start ist vor dem Überleben. So könnte eine Faustregel für Start-ups lauten – zumindest, wenn sie sich journalistische Ziele gesetzt haben. Wie viele junge, ambitionierte Medienprojekte hat sich auch Buzzard seine Anschubfinanzierung über Crowdfunding organisiert. Im November wird sich das Investment zum ersten mal jähren.Buzzard und seine Gründer Dario Nassal und Felix Friedrich haben sich vorgenommen, die Debattenkultur in Deutschland nicht nur abzubilden, sondern zu fördern. Sie haben erst eine Plattform, dann eine App entwickelt, in der sie täglich drei große Themen zusammentragen und unterschiedliche Meinungen und Perspektiven zusammentragen. Nutzer sollen so bei der Meinungsfindung unterstützt oder auch mal mit anderen Positionen konfrontiert werden – es ist ein gesellschaftlich wertvolles Vorhaben.Ich habe Buzzard-Gründer Dario Nassal vor ein paar Tagen in der Factory in Berlin, wo sich das in Leipzig aufgezogene Start-up mittlerweile eingerichtet hat, getroffen. Wir haben darüber gesprochen, wo Buzzard (zu Deutsch: Bussard) derzeit steht, denn finanziell ist es knapp. Es geht viel ums Sparen anstatt um Investitionen. „Das ist nicht optimal, gehört aber dazu“, hält Nassal nüchtern dazu fest. Unterkriegen lassen sich die Gründer davon aber nicht. Immerhin versuchen sie schon seit 2017 den Vogel zum Fliegen zu bringen. Derzeit reichen die finanziellen Mittel noch bis Mitte kommenden Jahres, Sparkurs vorausgesetzt. Wie die Gründer nun weiter wachsen wollen, um Flughöhe zu erreichen, und was Schulen und Lehrer damit zu tun haben, kannst du als Medieninsider hier nachlesen.
Mehr News aus der Woche
Audio Hub: dpa baut Produktpalette aus
Die Deutsche Presse Agentur will über das klassische Radio hinaus vor allem im Podcast-Segment attraktiver für Kunden werden und bastelt im Audio Hub an einer neuen Plattform. Dabei soll die Produktentwicklung in enger Zusammenarbeit mit Bestandskunden entstehen, um „nicht für die Tonne“ zu entwickeln. Im dpa-Blog umreißt Produktmanagerin Theresa Rentsch die Entstehung eines Prototypen, der zunächst auf dem Papier entsteht.
NOZ Medien startet Unternehmensberatung
Die Mediengruppe aus NOZ und mh:n (Neue Osnabrücker Zeitung, Flensburger Tageblatt) steigt in die Beratungssparte für Medienunternehmen ein. Unter der Marke HHLabC will das Unternehmen sein unter anderem sein Know-how im Bereich Paid Content weitergeben. Über die Gruppe hinweg vermelden die NOZ Medien eine kombinierte Digital-Auflage von 140.000, 45.000 davon gingen auf reine Digital-Abos (ohne E-Paper) zurück.
Medieninsider-Tipp: In unserem INSIGHT spricht Jan Golka, bei den NOZ Medien zuständig für Digital Subscriptions, ausführlich über den Auf- und Umbau des Paid-Content-Angebots der Mediengruppe – und erklärt, weshalb die NOZ grundsätzlich auf eine harte Paywall setzt, sie aber immer wieder aufzuweichen versucht. Der INSIGHT ist ein Status-Update über den digitalen Bezahljournalismus in Deutschland, er ist aber auch ein nutzwertiger und praxisnaher Guide für Media Professionals. Mehr über das Angebot erfährst du hier.
Capital startet digitales BezahlangebotCapital startet mit Capital+ ein digitales Bezahlangebot. Damit macht das Wirtschaftsmagazin aus dem Hause Gruner + Jahr seine Heftinhalte digital zugänglich, ergänzt wird das Angebot um speziell für Capital+ erstellte Inhalte. Dabei will Chefredakteur Horst von Buttlar vor allem auf Themen rund um persönliche Finanzen setzen. Abonnenten erhalten auch Zugang zu den Capital-Dossiers, eine Art „Masterclass“ zu speziellen Themen. Das digitale Abonnement kostet 7,90 Euro im Monat inklusive des monatlichen ePapers, für 9,80 Euro gibt es das Heft dazu. Bestandsabonnenten erhalten Zugang zu Capital+ gegen Aufpreis (zwischen 0,90 Euro und 1,23 Euro/Monat). Der Probemonat für alle Abonnenten ist kostenlos.
Stellenabbau bei der SZ: Jeder zehnte Redakteursposten fällt wegDie Süddeutsche Zeitung, die gerade erst über 150.000 Digital-Abonnenten jubelte und eine neue Markenkampagne („Mut entscheidet“) startete, baut in der Redaktion bis zu 50 Stellen ab, berichtet die taz. Das entspricht zehn Prozent der redaktionellen Belegschaft. Für Redakteure mit mehr als drei Jahren Betriebszugehörigkeit gibt es eine Abfindung von bis zu 134.000 Euro. 30.000 Euro kommen für jene oben drauf, die sich bereits in den nächsten Wochen entscheiden.
Gutachten stellt „erhebliche Finanzierungslücke für Innovationen im Journalismus“ festDie Landesmedienanstalt NRW hat heute Vormittag ein Gutachten zur Innovationsförderung für Journalismus in Deutschland veröffentlicht. Die leitenden Wissenschaftler Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität in Weimar und Christian-Mathias Wellbrock von der Universität Köln stellen dabei vor allem „eine erhebliche Finanzierungslücke“ fest.Während private Mittel für Neugründungen kaum verfügbar seien, investierten etablierte Häuser vor allem in Technologien statt in journalistische Innovationen, heißt es. Die Gutachter, die auch die Rolle der öffentlichen Hand untersuchen sollten, empfehlen daher, „neuen Mittel, die der Bund in den nächsten Jahren zur Verfügung stellt“ in bereits vorhandene Accelerator und Förderprogramme zu investieren – auch um der europäischen Digital News Initiative von Google etwas entgegenzusetzen. Zudem solle über föderale Kompetenzverteilung nachgedacht werden. „Beispielsweise könnte ein Standort als Zentrum für journalistische Genreinnovationen positioniert sein, ein anderer für Geschäftsmodellinnovationen im Journalismus.“Das gesamte Gutachten findest du hier, ein Factsheet hat die Medienanstalt hier aufbereitet.Du willst mehr wissen? Das Gutachten der Landesmedienanstalt ist 39 Seiten stark und enthält einige interessante Erkenntnisse. Wünscht du dir eine Zusammenfassung des Gutachtens, die wir für dich als Medieninsider (vermutlich zu morgen) aufbereiten sollen? Schreib doch eine kurze Mail, falls du interessiert bist! Erhalten wir mehr bis heute Abend mehr als 100 Rückmeldungen, gehen wir gerne in die Tiefe.
Mathias Döpfner macht, was Julian Reichelt nicht kann – nur macht er's nicht besser
- Kommentar -Axel Springer-CEO Mathias Döpfner hat die Solingen-Berichterstattung von Bild nun auch öffentlich als Fehler bezeichnet. In der vergangenen Woche gestand Döpfner das Fehlverhalten von Chefredakteur Julian Reichelt bereits in einem Townhall Meeting ein (er schlug sich angesichts der Massivität der Kritik, die Bild entgegenschlug, aber auch auf Reichelts Seite).Bild hatte nach der Tötung von fünf Kindern in Solingen den WhatsApp-Verlauf eines überlebenden Jungen veröffentlicht und war dafür massiv angegangen worden. Beim BDZV-Kongress, auf dem er als Präsident des Verbandes einstimmig wiedergewählt wurde, sagte Döpfner:
„Wir haben den Schutz von Minderjährigen in diesem Fall eindeutig missachtet.“
Der Springer-CEO hat damit getan, was Bild-Chef Reichelt offensichtlich nicht kann – einen Fehler eingestanden. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit.Was aber auch Döpfner schuldig blieb, waren Konsequenzen. „Wir haben intern seither viel und sehr kritisch über diesen Vorgang diskutiert“, erklärte er in seiner Rede. „Wir wollen und müssen es in Zukunft besser machen.“ Auf Nachfrage des Moderators, was denn Döpfners Schlüsse seien, entgegnete er, „keine fertige Lösung“ parat zu haben. Entscheidungen über Berichterstattung seien eben im Einzelfall vorzunehmen.
Döpfner nutzte die Rede, um den Fall zum Anlass „für eine breite Debatte über Standards und Werte im Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Presse und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten“ zu drehen. Zumindest versuchte er es. Das kann man machen, wenn man sich zum Ziel nimmt, den Pressekodex aufzuweichen, wie Martin Kaul die Rede Döpfners interpretiert.
In der Tat stören die ethischen Vorgaben des Presserates, die im Fall Solingen sogar unmissverständlich sind, bei Springer schon lange. Nicht, weil es schwer fällt, sie einzuhalten. Sie sind immer wieder, vor allem im Zusammenhang mit Rügen-Spitzenreiter Bild, Anlass für negative PR.
So sehr man den Rat und seine Rügen auch ignoriert und ihn damit der eigenen Lebensrealität fern hält; ein Leben ohne sie wäre ruhiger.
Zum Glück werden ethische Standards und Moral nicht von nur einem einzelnen bestimmt.
Mathias Döpfners komplette Rede kannst du hier im Video ansehen, das Manuskript hat der BDZV hier veröffentlicht.
Lesetipp
Wenn Facebook verspricht, Fake News und politischen Manipulationen vor Wahlen etwas entgegenzusetzen, versteht sich das Unternehmen offenbar nicht mehr als global – denn vorgegangen wird nur in jenen Regionen der Welt, auf die besonders viel Aufmerksamkeit fällt. Diesen Eindruck vermittelt ein mehr als 6600 Worte langes Memo, aus dem BuzzFeed News ausführlich zitiert. Verfasst hat es Sophie Zhang, eine kürzlich nach drei Jahren bei Facebook gefeuerte Data Scientist. Zhang geht an die Öffentlichkeit, nachdem sie eine Abfindung von 64.000 US-Dollar abgelehnt haben will, die sie zum Schweigen verpflichtet hätte. Dann hätte niemand erfahren, dass…
► … Facebook neun Monate gebraucht hat, um gegen eine koordinierte Kampagne vorzugehen, in der die Menschen in Honduras gezielt zugunsten des Präsidenten Juan Orlando Hernandez fehlinformiert worden sind. Und dass nur zwei Wochen nach Eingreifen weiter manipuliert werden konnte.
► … auch in Aserbaidschan die regierende Partei mit tausenden Manipulationsversuchen („inauthentic assets“) gegen die Opposition vorgegangen ist, und Facebook erst ein Jahr, nachdem Zhang darauf aufmerksam gemacht hatte, reagiert wurde – bislang ohne Ergebnis.
► … in der Ukraine von zahlreichen Seiten im Hintergrund politisch manipuliert wurde.
► … dass sie auch Aktivitäten von Bots und weitere Manipulationen in Bolivien und Ecuador fand, sie aber wegen der eigenen Arbeitsbelastung nicht weiter priorisiert hatte.
Das sind nur einige Auszüge aus der Liste von Manipulationen, die Zhang fand, gegen die sie aber nicht immer etwas ausrichten konnte. „In den drei Jahren, die ich bei Facebook war, habe ich mehrere offensichtliche Versuche ausländischer Regierung gefunden, unsere Plattform in großem Umfang zu missbrauchen, um die eigene Bevölkerung in die Irre zu führen.“
Von Vorgesetzten sei ihr zu verstehen gegeben worden, dass Arbeitskraft begrenzt sei. Würde sie das nicht einsehen, müsse sie gehen. Zhang schreibt mit Blick auf Katastrophen wie Dutzende Tote in Bolivien durch Massenproteste oder Tausende Tote durch schlechtes Krisenmanagement in Ecuador während der Coronapandemie:
„Ich habe Blut an meinen Händen.“
Das Memo Zhangs zeigt, dass Facebook wohl alarmiert ist, was gezielte Manipulationen weltweit angeht – aber kaum gewillt ist, dagegen vorzugehen. Zhang vermutet dahinter keine böse Absicht, sondern Ressourcenmangel.
Facebooks Vorgehen – und das der Tech-Konzerne insgesamt – liegt womöglich aber auch in einem grundsätzlichen Missverständnis begründet, wie zwei andere Herren in dieser Woche unterstrichen haben. Tristan Harris, ehemaliger Google-Mitarbeiter, und Roger McNamee, früher Facebook-Investor und Berater des jungen Mark Zuckerberg und mittlerweile ebenfalls Tech-Kritiker, der Süddeutsche Zeitung ein lesenswertes Interview. Über das Selbstverständnis von verantwortlichen Facebook-Entwicklern, -Programmierern und -Ingenieuren sagt McNamee:
„Google führt alle Informationen der Welt zusammen, Facebook alle Menschen in einem Netzwerk. Aber sie sehen es ausschließlich unter Effizienz-Gesichtspunkten. Das ist gefährlich, weil Effizienz Reibung beseitigen soll. Dabei ist Reibung die Essenz von Expertise, Kunst, Wissenschaft - ja, Fortpflanzung!“
Sie appellieren für eine „humane Technologie“, für eine Art hypokratischen Eid von Programmierern, dafür, dass weiterführende Technologien wie Gesichtserkennung mindestens fünf Jahre aufgeschoben werden, um erst einmal mit Verantwortung umgehen zu lernen. McNamee:
„Ein Bauingenieur kann zur Verantwortung gezogen werden, wenn ein Gebäude einstürzt. Programmierer gehen kein persönliches Risiko ein.“
Das gesamte Interview in der Süddeutsche Zeitung kannst du hier nachlesen. Das Memo von Sophie Zhang findest du hier bei BuzzFeed News.
Und noch etwas
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Hab noch eine schöne Woche! Viele Grüße sendet dir Marvin