- Medieninsider
- Posts
- Lese-Letter 6/2023
Lese-Letter 6/2023
Thomas Rabe, Gregor Peter Schmitz, Welt, Objektivitätsdebatte, Lokaljournalismus
Hallo !
Schön, dass du dabei bist! In dieser Woche gibt es im Lese-Letter zwei Extra-Analysen – denn aktuell ist ziemlich viel los. Was dich unter anderem erwartet:► Drei Gründe, weshalb Thomas Rabe am besten alle Gruner-Magazine verkaufen sollte
► Beim Machtkampf in der Welt-Redaktion gibt es eine heimliche Profiteurin, der man große Ambitionen nachsagt
► Alexandra Borchardt schreibt über die Objektivitätsdebatte im Journalismus und sagt: So ausgewogen war er noch nie
► In diesem Monat jährt sich der Krieg in der Ukraine – im Q&A kannst du dich mit ARD-Korrespondent Vassili Golod dazu austauschen
Bestelle neben diesem Lese-Letter auch unseren neuen ☑ Job- und Karriere-Letter oder den☑ TikTok-Radar. Setze in deinem Profil einfach den Haken hinter den gewünschten Ausgaben:
Spekulatius ist des Medienjournalisten liebstes Gebäck. Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man die Berichterstattung der vergangenen Wochen über die Zukunft der Gruner+Jahr-Medien betrachtet. Viel wurde über Verkaufsobjekte und Käufer spekuliert. Gestern hat Bertelsmann-RTL-RTL-CEO Thomas Rabe erste Tatsachen geschaffen. Verkauft wird erst einmal: nichts. Und das ist eigentlich viel schlimmer.
Rabe präsentierte gestern lediglich eine Liste mit Titeln, die man behalten, veräußern oder einstampfen wolle. Die Bilanz: 13 Titel bleiben, für 22 Assets erhofft man sich Käufer, ganze 23 Titel werden geschreddert. Das bedeutet: 700 der bislang 1900 Stellen fallen weg.
Nach dem gestrigen Tag bleibt mehr als ein Drittel der Mitarbeiter mit nur einer Gewissheit zurück: Dass es für sie bei Gruner + Jahr beziehungsweise RTL nicht weitergehen wird. Das viel Wichtigere, nämlich wo es für sie weiter gehen wird, bleibt ungewiss. Rabe beteuerte: Es habe erste Interessenten gegeben, allerdings noch nicht einmal Sondierungsgespräche. Das Bangen um die eigene Zukunft und Existenz geht also weiter.
Der Umbruch am Bauwall – wenn man es so nennen will – ist der größte in der deutschen Medienbranche seit dem Verkauf eines Großteils des Zeitungs- und Zeitschriftenportfolios von Axel Springer in 2014. Das Ausmaß wird größer sein. Mit der Zerschlagung von Gruner + Jahr wird nicht nur vielen Journalisten „das Herz herausgerissen“, wie es am Dienstag einige formulierten. Es geht ein Stück Seele einer ganzen Branche verloren.
Dass Bertelsmann an den stärksten Gruner-Marken festhalten will, ist nicht nur ein schwacher Trost. Womöglich wird es für sie sogar fatal. Drei Gründe, weshalb Rabe einfach alles verkaufen sollte:
► Er würde einigen Titeln, die nun auf der Kill List gelandet sind, eine Überlebenschance geben. Das gilt vor allem für einige Geo-Ableger. Rabe opfert sie, weil er an ihren Muttermarken festhalten will. Zur Wahrheit gehört aber auch: Bei manchen Line Extensions oder „Print-Innovationen“ musste man den Journalismus zwischen den Zeilen suchen. Die Einstellung von Titeln wie Guido oder Barbara ist kein Fehler, ihre Erfindung war einer.
► Er würde einigen verbleibenden Titeln ein längeres Leben ermöglichen anstatt ihr Sterben zu verlängern. Dass Rabe an ihnen festhalten will, liegt daran, dass er sie für RTL-Synergien nutzen kann oder sie einfach noch gut genug laufen. Immerhin machen sie 70 Prozent des Umsatzes aus. Aus der Zitruspresse des Bertelsmann-Chefs tropft noch Saft. Dass er nur Stern, Geo und Capital richtig in die RTL News GmbH überführen will, weckt Misstrauen. Zurecht. Die übrig bleibende Gruner + Jahr GmbH mit Titeln wie Brigitte, Gala und Schöner Wohnen wirkt wie eine Resterampe für ein paar TV-Formate – oder eine Bad Bank. Eine Erklärung für das Vorgehen gibt es wieder mal nicht.
► Er würde auch den vermeintlichen Gewinnern der Hunger Games von Bertelsmann Hoffnung geben, die morgen wieder ungewiss sein könnte. Dass er Stern, Geo und Capital integriert und ihnen auch noch ein eigenes Digitalgeschäft zugesteht, ist zwar ein Bekenntnis. Ist es aber eines aus Überzeugung? Für die neuen Pläne, die neben RTL+ auf ein eigenständiges Bezahlangebot (Stern+) zulaufen, musste er überredet werden. Und auch danach gilt: Investitionen sind schön und gut, viel (Geld) hilft aber nicht viel, wie sich am Chaos rund um die App von RTL+ beobachten lässt. Das Beispiel zeigt auch: Man wird um Rabes Unterstützung immer wieder aufs Neue werben müssen. Was neulich noch als das große Zukunftsprojekt verklärt wurde, war im November plötzlich „Die Super-App, die alles kann, aber niemand will“. Gestern irritierte er wieder mit der Aussage, dass die „Multi-Purpose-App“ nun doch weiterhin das Ziel sei. Noch in diesem Jahr sollen Magazin-Inhalte bei RTL+ laufen. Mit Blick auf die bisherige Entwicklung scheint das genauso unmöglich wie die neuen Abo-Ziele für Stern+. 100.000 sollen es bis 2025 werden – etwa 30.000 sind es jetzt. Selbst ohne die aktuellen Marktbedingungen und Spielereien mit E-Paper-Statistiken wäre „ambitioniert“ noch eine Untertreibung.
Was geschieht, wenn Rabes Erwartungen nicht erfüllt werden, lässt sich aktuell beobachten. Auch wenn der Manager die Chefposten der RTL Group und RTL Deutschland bekleidet, am Ende ist er nur eines: CEO der Medienholding Bertelsmann. Das machte er auch bei einer der Mitarbeiterversammlungen am gestrigen Dienstag klar. Nahezu genervt von der überzogenen Sprechstunde mit zu vielen Fragen erklärte er:
„Gruner ist ausgesprochen wichtig, aber nur ein sehr kleiner Teil von Bertelsmann.“
Übersetzt heißt das: Hauptsache Liz Mohn geht’s gut.
Rabe mit Blick auf die verbleibenden Titel der neuen (Stern-)Gruppe im Zaum zu halten, wird zukünftig Gregor Peter Schmitz’ Aufgabe sein. Während das Portfolio massiv zusammengestrichen wird, baut der Stern-Chef seinen Wirkungskreis aus. Die Details dazu wie auch erste Antworten auf die Frage, wie das mit der Gruppe aus Stern, Geo und Capital funktionieren soll, erfährst du im folgenden Artikel:
In einer quantitativen Grundlagenstudie mit 18.000 TeilnehmerInnen hat [m]SCIENCE, die Forschungstochter der Group M, untersucht, welche Touchpoints für welche Werbeziele besonders geeignet sind. Welche überraschenden Ergebnisse dabei herauskamen, lesen Sie hier auf editorial.media
Am Wochenende berichteten wir ausführlich über einen eskalierten Streit in der Welt-Redaktion. Dort will Chefredakteur Ulf Poschardt die beiden Investigativ-Ressorts fusionieren, an der Spitze dieser neuen Einheit soll Reporter Tim Röhn stehen, für den vergangenes Jahr das Ressort Schwerpunktrecherche eingerichtet worden war.
Es ist auch das Resultat eines Machtkampfes, ausgetragen von Ulf Poschardt und Investigativ-Chefin Anette Dowideit. Sie wird die Welt wohl verlassen. Auch weitere Redakteure haben damit gedroht.
Die Story hat aber auch eine interessante Randnotiz. Sie stand im Statement, mit dem Axel Springer die Recherchen zum Umbau bestätigt hat. Sie betrifft die Chefredaktion:
„Wir freuen uns, dass mit Tim Röhn ein ausgewiesener Investigativ-Profi in der künftigen Aufstellung mehr Verantwortung übernimmt und die Koordination des Gesamtressorts in der Chefredaktion Jennifer Wilton inne haben wird.“
Wilton baut ihren Wirkungsbereich damit weiter aus. Der war bislang begrenzt, die Journalistin verantwortete lediglich die werktägliche Print-Ausgabe. Die hat zuletzt auch an Relevanz verloren, weil aus der Welt am Sonntag auch eine Welt am Samstag geworden ist – für die wiederum Dagmar Rosenfeld verantwortlich ist.
Die Randnotiz ist auch interessant, weil die Investigation bei Welt hochgehalten wird. Das liegt einerseits daran, dass sie noch dafür sorgt, dass sich die Zeitung nicht zum reinen Meinungsmedium entwickelt. Andererseits liegt das auch am Gründungsvater des Ressorts. Das wurde der Legende nach vor bald 20 Jahren auf Wunsch von Mathias Döpfner eingerichtet. Der Verleger wollte damit die Relevanz als Recherchemedium stärken. Das Ressort genießt also besondere Aufmerksamkeit. Wilton kommt das ganz recht. Es ist eine gute Bühne, sich für Hrößeres zu empfehlen.
Die Journalistin, die Anfang vergangenen Jahres in die Chefredaktion aufgestiegen war, gilt als ambitioniert, traut sich offenbar mehr zu als nur die Nachrichten von gestern für Print aufzubereiten. Bislang ist sie nach außen jedoch wenig in Erscheinung getreten, wirkte eher blass. Dass sie daran arbeitet, an Profil zu gewinnen, zeigt auch ihr jüngstes Interview im Journalist. Mit dem Gespräch kam sie erstmals aus der Deckung, sprach über ihre Vorstellung von Konservatismus, der Ausrichtung der Welt, den Unterschieden von Meinung und Haltung – und Ulf Poschardt. Über ihn und seinen (Meinungs-)Stil sagte sie:
„Wir sind da sicher unterschiedliche Charaktere. Aber es ist nicht falsch, zu provozieren, um Antworten zu forcieren.“
Was „nicht falsch“ ist, muss bekanntlich nicht richtig sein. Gut möglich, dass sich hier jemand in Stellung bringt.
Für die einen hat die Debatte um Objektivität im Journalismus gerade erst begonnen, für die anderen ist sie längst abgehakt. Allein das zeigt, wie dringend sie geführt werden muss. Denn es geht um nicht weniger als die Arbeitsgrundlage, aus der die Branche ihre Existenzberechtigung ableitet.
Der Lokaljournalismus steckt in der Krise, vor allem in den USA. Brian Morrissey zeigt am Beispiel von Local News Now, wie es trotzdem funktionieren kann.
Hervorragenden Regionaljournalismus dort lernen, wo er gemacht wird. Schreibe über interessante Menschen, filme spannende Ereignisse, nutze Social Media und Podcast für deine Geschichten, recherchiere, was wirklich geschieht. Starte zum 1.9.2023.Mehr erfahren
Sales Manager Stellenanzeigen (m/w/d)MedieninsiderBerlin oder remote
Möchtest du auch deine Stellen in unserem Transformationsmarkt platzieren? Dann stelle sie hier online ein oder schreib eine E-Mail an [email protected].
News:
► Mediaforeurope will ProSiebenSat.1 vorerst nicht übernehmen (mehr erfahren)
► New York Times klagt gegen deutschen Rätsel-Verleger wegen Eintragung der Wortmarke „Wordle“ (mehr erfahren)
► Dänemark, Norwegen, Finnland und Island treten wegen „Korruption und Intransparenz“ aus Journalistenverband IFJ aus (mehr erfahren)
► Rupert Murdochs News UK will Scottish Times und Sunday Times fusionieren (mehr erfahren)
► KI-Chatbot ChatGPT bekommt Abo-Modell in den USA (mehr erfahren), Google und Microsoft reagieren (mehr erfahren)
► Penske Media investiert 100 Millionen US-Dollar in Vox Media und ist nun größter Shareholder (mehr erfahren)
► Meta meldet Umsatzrückgang von vier Prozent im vierten Quartal 2022 (mehr erfahren)
► Twitter will Unternehmen 1000 US-Dollar pro Monat für Verifikationsbutton berechnen (mehr erfahren)
► Instagram-Gründer starten Social-Media-Plattform Artifact für KI-kuratierte News (mehr erfahren)
Entdeckungen:
► DJU-Geschäftsführer Jörg Reichel kritisiert die Methoden von Julian Reichelts Rome Medien (mehr erfahren)
► Anuschka Roshani berichtet über Sexismus, Mobbing und Machtmissbrauch bei Tamedia (mehr erfahren)
► Veronika Melkozerova beschreibt das Dilemma ukrainischer Journalisten zwischen Kriegsberichterstattung und einem kritischen Blick ins eigene Land (mehr erfahren)
Der TikTok-Radar von Medieninsider informiert dich fortlaufend über die aktuellen Themen-Trends auf der Videoplattform:
► 06. Februar 2023: Modernes Betteln? Creator wollen sich durch den Paypal-Trend bereichern
Du willst erfahren, was dahinter steckt und welche Reichweiten die Trends in Aussicht stellen? Alle relevanten Infos kannst du als Medieninsider hier abrufen. Und hier kannst du den News-Alert per Newsletter bestellen.
So hilfst du dabei, Medieninsider bekannter zu machen!
Danke fürs Lesen, ! Wenn dir der Lese-Letter gefällt, leite ihn gerne an Kollegen, Bekannte oder Freunde weiter. Wir freuen uns auch, wenn du in sozialen Netzwerken auf unsere Artikel hinweist! Dank dafür geht in dieser Woche unter anderem an Jan Böhmermann, Daniel Drepper, Goran Majic, Simon Hurtz, Axel Wagner, Philipp Blanke und Anne McElvoy.
Wenn du denkst, dass auch deine Kollegen Medieninsider lesen sollten, dann empfehlen sich unsere Corporate-Angebote. Mehr Informationen dazu findest du hier.
Viele Grüße sendet dir
Marvin
Copyright (C) . All rights reserved.