Lese-Letter 40/2023

Märchenstunde Kress, Bild-Verkauf, ARD-Talks, Trauerspiel Tagesspiegel, Mopo, Abo-Preise

Hallo !

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:

► „Märchenstunde“ bei Kress und Trauerspiel beim Tagesspiegel

► Die ARD macht aus den Kosten für die Talks von Caren MiosgaSandra Maischberger und Louis Klamroth ein Geheimnis – Volker Nünning kennt die Zahlen und schafft Transparenz (direkt zum Artikel)

► Die Hamburger Morgenpost schafft 2024 die tägliche Print-Ausgabe ab – wie die Pläne für den neuen Wochentitel aussehen und was das fürs Personal bedeutet (direkt zum Artikel)

► Der Abo-Preis der Zukunft ist flexibel, wie Alexandra Borchardt in ihrer neuen Kolumne erklärt (direkt zum Artikel)

Susanne Daubners Lachanfall war auch bei TikTok ein viraler Hit – nur nicht für die Tagesschau, wie Simon Pycha in den TikTok-Charts analysiert (direkt zum Artikel)

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Obwohl Weihnachten längst noch nicht vor der Tür steht, hat sich Kress-Chefredakteur Markus Wiegand bereits am Spekulatius überfressen. Zumindest könnte man diesen Eindruck gewinnen, nachdem man diesen Artikel gelesen hat.

Darin spekuliert Wiegand darüber, dass Axel Springer „in nicht allzu ferner Zukunft“ Bild verkaufen könnte. Diese „hübsche Spekulation“ habe ihn „aus Berlin“ erreicht.

Der Text hat mich erst fassungs- und dann ratlos gemacht.

Nicht, weil mir als Medienjournalist eine Hammer-Story durch die Lappen gegangen wäre, oder weil es anders herum an den Haaren herbeigezogen sein könnte. Sondern weil der Text auf nichts anderem aufbaut als dem oben Genannten und der Feststellung, dass das Geschäft von Bild (wie von allen anderen auch) unter Druck steht. Mir ist nicht klar, was der Text bezwecken soll. 

Es spricht nichts dagegen, sich mit der Frage zu befassen, welche Rolle Bild in Zukunft im Axel-Springer-Konzern spielen wird. Es spricht auch nichts dagegen, sich der Frage eines Verkaufs anzunähern. Sicherlich ließen sich gute Gründe finden, die für eine Trennung sprechen. Sicherlich aber auch viele dagegen. Auch ich habe bereits darüber fantasiert – in Gesprächen mit Springer-nahen Leuten, aber auch Springer-fernen, in Redaktionskonferenzen oder für mich selbst. Aber nicht öffentlich in einem Magazin, das Fachkenntnis und Seriosität für sich beansprucht. Denn dazu braucht es Recherche.

Auch wir Medienjournalisten haben eine Verantwortung. Auch wir müssen Spekulationen prüfen, belastbare Quellen finden, sie möglichst genau benennen. Dabei passieren auch mal Fehler. Auch wir Medienjournalisten können nicht alles richtig machen. Wer seine Überschrift mit einem Fragezeichen abschließt und davor auch noch explizit auf eine „Spekulation“ verweist, hat aber alles falsch gemacht. 

Wer so arbeitet, konnte nichts überprüfen oder hat es auch einfach nicht gewollt. Wer so arbeitet, schadet ohne Grund dem Unternehmen, über das er schreibt, den Leuten, die dort arbeiten, vor allem aber sich selbst. 

Der Kress-Text, der bereits einige Tage zuvor im Heft erschienen war, hat nach seiner Online-Veröffentlichung für Aufregung gesorgt. Zuallererst bei Bild, wo man aufgrund des Sparprogramms nervlich derzeit ohnehin zart besaitet ist. Dort hat man vom Erscheinen des Artikels nichts gewusst. Denn um Stellungnahme gebeten hat zuvor offenbar niemand. Gegenüber Medieninsider erklärt ein Sprecher:

„Die Spekulation über einen möglichen Verkauf von Bild durch Axel Springer können wir klar dementieren. Es handelt sich um eine reine Märchenstunde bei Kress. Leider sind wir dazu auch nicht angefragt worden. Das Einzige, was Axel Springer mit Bild jeden Tag verkauft, sind Zeitungen, BildPlus-Abos und eine herausragende Reichweite für Werbung.“

Wer nicht recherchiert, der spekuliert – oder schreibt einfach die Arbeit der anderen ab. Womit wir beim Tagesspiegel wären. 

Vor zwei Wochen habe ich den Umgang deutscher Medien mit Online-Quellen thematisiert und auf den alles andere als vorbildlichen Quellenkasten von T-Online hingewiesen. Noch anstandsloser als Quellen nicht zu verlinken ist es, sie nicht zu verlinken, dafür aber hemmungslos abzuschreiben.

Der Tagesspiegel, der vergangenes Jahr seine Medienseite aus der Zeitung gestrichen hat, macht das ganz gerne. Zumindest bei uns.

Der jüngste Fall: Etwa zwei Stunden nachdem wir am vergangenen Freitag exklusiv darüber berichtet haben, was sich ARD ihre Polit-Talks in den kommenden beiden Jahren kosten lässt, erschien beim Tagesspiegel ebenfalls ein Artikel: „Reden ist Gold“ lautet die Überschrift, die – neben der Autorenzeile von Joachim Huber – die einzige, journalistische Eigenleistung daran ist. Der Rest entstammt nicht nur zu 100 Prozent unserem Artikel, sondern enthält auch 100 Prozent der darin enthaltenen Informationen.

Dass Berichterstattung aufgegriffen wird, gehört zum Geschäft. Nur gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen auf- und abgreifen. Der Tagesspiegel hat hier die Arbeit anderer – im speziellen Fall die meines Kollegen Volker Nünning – abgegriffen. Er enthält jede Zahl, jedes Detail, das mein Kollege in vielen Stunden aufwendig recherchiert hat. Ich mache keinen Hehl daraus, dass das für uns auch wirtschaftlich besonders ärgerlich ist. Im Gegensatz zum gestandenen Tagesspiegel, der freie Autoren gerne mal im unteren dreistelligen Honorar abspeist, sind wir um möglichst faire Honorare bemüht. Wir lassen uns Exklusivität etwas kosten, gerne sogar.

Abgesehen davon, dass ich es bemerkenswert finde, dass man sich gestandene Redakteure dafür leistet, die Arbeit anderer abzuschreiben (das könnte man auch der KI überlassen), ist das Problem ein anderes, ein größeres. Die Abschreiberitis, die seit Jahren in der Branche um sich greift, schadet dem Journalismus nachhaltig. 

► Journalismus wird austauschbar. Medien berauben sich ihrer eigenen Unterscheidungsmerkmale.

► Journalismus wird fehleranfällig. Im schlimmsten Fall werden auch falsche Informationen abgeschrieben oder die Arbeit anderer mit eigenen Fehlern angereichert.

► Journalismus wird noch schwieriger refinanzierbar – besonders in Zeiten digitaler Abomodelle. Wer Paywall-Artikel abschreibt (und frei verfügbar macht), klaut nicht nur Content, sondern auch Abonnenten.

Kurzum: Die Abschreiberitis trägt ihren Teil dazu bei, dass sich der Journalismus selbst abschafft. Wir müssen uns selbstkritisch fragen: Wenn wir die Arbeit unserer Kollegen nicht respektieren, wie können wir das dann von unseren Lesern erwarten? Die Branche diskutiert viel über sich selbst, aber zu wenig über handwerkliche Standards im Digitalen.

Dass auch den Leuten beim Tagesspiegel das Vorgehen, das er selbst an den Tag legt, stört, zeigt dieser Tweet von Sidney Gennies. Er ist Mitglied der Chefredaktion beim Tagesspiegel und ärgerte sich im Januar darüber, dass Focus Online eine Tagesspiegel-Story hinter der Paywall abgeschrieben und frei zugänglich gemacht hat. Er hat sich zurecht geärgert.

Umso bemerkenswerter ist die Antwort von Chefredakteur Lorenz Maroldt auf meine Anfrage, wie fair er das pure Abschreiben eines Artikels findet und inwiefern es zu den Qualitätsstandards seiner Zeitung passt:

„Wenn ich mich nicht verzählt habe, hat Joachim Huber in vier Absätzen fünfmal die Quelle zitiert (1 x Autor, 4 x Medium), der Text beginnt sogar damit. Wir würden uns wünschen, dass andere Medien ähnlich offensiv und korrekt zitieren, gerade auch mit Blick auf die Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen beim Tagesspiegel.“

Herr Maroldt hat sich nicht verzählt. Und mit seiner Antwort auch deutlich gemacht, dass er das Problem nicht verstanden hat.

In dieser Ausgabe des Lese-Letters gab es viele Emotionen zu verarbeiten. Ich hoffe, du nimmst es mir als Leser nicht übel. Aber mich beschleicht das Gefühl: Es läuft zunehmend etwas verkehrt in dieser Branche. 

Ich verlinke den abgeschriebenen Artikel des Tagesspiegel selbstverständlich. Wenn dich die ARD-Talks interessieren, kannst du den Artikel dort frei lesen. Besser ist es, wenn du die Recherche dort liest, wo sie entstanden ist, nämlich bei uns – um exklusiven Medienjournalismus wertzuschätzen und mehr davon zu ermöglichen. Das Original findest du hier.

Aus den Kosten für die politischen Talkshows im Ersten macht die ARD stets ein Geheimnis. Nachdem kürzlich zurückliegende Budgets bekannt wurden, ist es Medieninsider gelungen, die Finanzpläne für die kommenden beiden Vertragsjahre zu recherchieren. Sie enthalten nicht nur Gesamtkosten und Minutenpreise der Sendungen von Caren Miosga, Louis Klamroth und Sandra Maischberger, sondern auch Honorare für Moderationen.

Dass Verleger Arist von Harpe darüber nachdenkt, die täglich erscheinende Zeitung abzuschaffen, war zuletzt ein offenes Geheimnis. Nun ist es beschlossene Sache: Ab 2024 wird die Hamburger Morgenpost nur noch zum Wochenende gedruckt erscheinen. Wie die Pläne für die neue Ausgabe aussehen und was das für das Personal bedeutet. 

3 Tage Konferenz, Expo und Networking: Freut euch auf Judith Wittwer (Chefredakteurin, SZ), Peter Kropsch (CEO, dpa) oder Keynote-Speaker Prof. Dr. Björn Ommer (Head of Computer Vision & Learning Group, LMU München). Jetzt Tickets sichern!

Andere Branchen machen es bereits vor: Der Preis der Zukunft ist flexibel. Auch Medien sollten sich vielmehr mit Alternativen zum fixen Abo-Preis befassen, meint Alexandra Borchardt in ihrer neuesten Kolumne.

Das Publisher-Ranking für September zeigt, mit welchen Themen digitalen Journalismusmarken auf TikTok erfolgreich sind und was mit ihnen auf der Plattform passiert. Im September ging der Lachanfall von Susanne Daubner auch bei TikTok viral, allerdings nicht vom Account der Tagesschau. Darüber hinaus hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen weiteren Kanal gestartet.

News

► Axel Springer verkauft seine verbliebenen 35 Prozent an Ringier Axel Springer Schweiz an Ringier, als neue CEO wird die bisherige Blick-CEO Ladina Heimgartner eingesetzt – das Springer-Ringier-Joint-Venture in Polen bleibt von dem Verkauf unberührt (mehr erfahren)

► Axel Springer hat laut Bloomberg Interesse am Kauf der britischen Telegraph-Gruppe (Daily Telegraph, The Spectator)  – der bisherige Eigentümer musste die Zeitungen an die Lloyds Bank geben, nachdem er einen Kredit nicht zurückgezahlt hatte (mehr erfahren)

RBB-Intendantin Ulrike Demmer will nicht, wie von ihrer Vorgängerin Katrin Vernau geplant, die Verwaltungsdirektion mit der Produktions- und Betriebsdirektion zusammenlegen (mehr erfahren)

► Madsack stellt das Print-Angebot seiner Lokalzeitungen weiter ein – der Prignitz-Kurier erscheint seit 2. Oktober 2023 rein digital, ab 1. Dezember 2023 folgen auch die MAZ-Lokalausgaben aus Kyritz und Wittstock (mehr erfahren)

► Der DJV hat sich mit dem BDZV auf einen Inflationsausgleich für Tageszeitungsredakteure geeinigt – Festangestellte erhalten zwischen Oktober 2023 und Dezember 2024 monatlich 120 Euro, freie Redakteure einen ans Honorar gebundenen Betrag (mehr erfahren)

► Der Schweizer Online-Sender Blick TV stellt seine täglichen Nachrichtensendungen nach rund dreieinhalb Jahren ein – stattdessen sollen nun Breaking News und Spezialsendungen nach Bedarf ausgestrahlt werden (mehr erfahren)

► Eine Gruppe prominenter US-Autoren um John Grisham hat OpenAI wegen Urheberrechtsverletzung verklagt (mehr erfahren)

► Bislang stellte ChatGPT seinen Nutzern nur einen Wissensstand bis September 2021 zur Verfügung – ein Update macht auch aktuelles Wissen verfügbar (mehr erfahren)

► Das Newsletter-Start-up und Substack-Konkurrent Beehiiv übernimmt den Newsletter-Vermarkter Swapstack (mehr erfahren)

► TikTok testet ein Abo-Modell und verspricht für 4,99 US-Dollar im Monat auf Werbung zu verzichten (mehr erfahren)

► Den gleichen Schritt wie TikTok will auch Meta gehen – Facebook und Instagram könnten laut Wall Street Journal für zehn Euro pro Monat werbefrei nutzbar werden (mehr erfahren)

► Der News-Aggregator Artifact der Instagram-Co-Gründer Kevin Systrom and Mike Krieger ermöglicht Nutzern, eigene Posts im Feed zu platzieren und rückt sein Plattformmodell damit näher an Konkurrent X (ehemals Twitter) (mehr erfahren)

Entdeckungen:

► Ex-Vice-Deutschland-Chefredakteur Felix Dachsel schreibt im Spiegel angesichts des finanziellen und Skandal-begleiteten Abstiegs von Vice eine Liebeserklärung an die Idee hinter dem „Punk“-Medium, lobt den unkonventionellen und nahbaren Ansatz sowie seine ehemaligen Kollegen (mehr erfahren)

► Die Süddeutsche Zeitung verteidigt ihr Vorgehen in der Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger und schlüsselt zu diesem Zweck die Recherche und insbesondere die Anfragen an den Freie-Wähler-Chef chronologisch auf (mehr erfahren)

► Medien-Professor Thomas Hanitzsch sagt im Interview mit Aurelie von Blazekovic in der SZ, die Krise des Journalismus sei nicht so groß wie oft beschrieben – der oftmals behauptete Vertrauensverlust sei ein Narrativ, das verfängt, weil es einer Nachrichtenlogik folgt (mehr erfahren)

Der TikTok-Trendradar von Medieninsider informiert dich fortlaufend über die aktuellen Themen-Trends auf der Videoplattform:

► 3. Oktober 2023: So funktioniert das Marshmallow-Game | International

Du willst erfahren, was dahinter steckt und welche Reichweiten die Trends in Aussicht stellen? Alle relevanten Infos kannst du als Medieninsider hier abrufen. Und hier kannst du den News-Alert per Newsletter bestellen.

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Danke fürs Lesen, ! Wenn dir der Lese-Letter gefällt, leite ihn gerne an Kollegen, Bekannte oder Freunde weiter. Wir freuen uns auch, wenn du in sozialen Netzwerken auf unsere Artikel hinweist! In dieser Woche hat das unter anderem Florian Boldt, Felix Kasten, Liane Bednarz und Ralph Stanger getan.

Wenn du denkst, dass auch deine Kollegen Medieninsider lesen sollten, dann empfehlen sich unsere Corporate-Angebote. Mehr Informationen dazu findest du hier.

Viele Grüße sendet dir

Marvin

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