Lese-Letter 39/2023

Zustellförderung, BDZV, Julian Reichelt, Spiegel, Stern-Preis, Authentizität in der Medienbranche

Hallo !

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:

► Nach dem gestrigen BDZV-Kongress sollte jedem klar sein: Die Zustellförderung ist vom Tisch und es wird Zeit, nach vorne zu schauen

► Der Spiegel bestätigt Zweifel an der Aussage einer wichtigen Zeugin in der Causa Reichelt – was nun auch die Jury des Stern-Preises auf den Plan rufen sollte (direkt zum Artikel)

► Wer in den Medien arbeitet, muss sich oft selbst inszenieren – was die Branche nicht immer attraktiv macht, meint Claudia Michalski (direkt zum Artikel)

Bestelle neben diesem Lese-Letter auch unseren neuen ☑ Job- und Karriere-Letter oder den☑ TikTok-Radar. Setze in deinem Profil einfach den Haken hinter den gewünschten Ausgaben:

Künstliche Intelligenz wird Redaktionen und Verlagen zukünftig viele Aufgaben abnehmen. Eines wird sie aber gewiss nicht können: die gedruckte Zeitung zustellen. Dabei wünschen sich Verleger vermutlich nichts sehnlicher als das. Denn steigende Kosten in der Produktion und in der Zustellung machen das Geschäft mit dem bedruckten Papier eher früher als später unmöglich.

Weil sich die Zeitungsverleger selbst nicht zu helfen wissen, soll es nun – so viel ist auch bereits bekannt – die Politik richten. Die Verlage wollen Subventionen dafür erhalten, der analogen Bevölkerung ihre Zeitung zuzustellen. Sie sagen: wegen der Demokratie. Wären sie ehrlich zu sich selbst, würden sie sagen: Weil sie die Digitalisierung erst zu spät ernst genommen und dann nicht beherzt genug angefasst haben. Wäre das Digitale profitabel, würde der Zeitung kaum jemand nachtrauern.

In Berlin gibt es kein großes Interesse daran, das Sterben der Printosaurier zu verlängern. Nach dem gestrigen Jahreskongress des Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sollte es nun auch der letzte verstanden haben. 

Nachdem sich Moderator Benjamin Piel – im Hauptjob Chefredakteur des Mindener Tageblatt – darüber pikierte, dass der Bundeskanzler seine Zeit lieber mit den Preisträgern von „Jugend forscht“ verbrachte und stattdessen eine Videobotschaft ankündigen musste, stellte er fest: 

„Ich habe es mir heute morgen ein paar Mal angeguckt und ich würde sagen: Wow. Eine Zusage zur Förderung konnte ich da jetzt, gelinde gesagt, nicht heraushören.“

Gelinde gesagt, weil der Kanzler nicht nur auf das Wörtchen „Zustellförderung“ verzichtete, sondern seinem Publikum gewohnt subtil mit auf den Weg gab, worum es sich stattdessen besser kümmern sollte:

Es sei „erfreulich“, so Scholz, dass die Branche ihre Umsätze im Digitalgeschäft zuletzt um 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern konnte. Und es sei wichtig, dass sie weiter „mit Hochdruck die Chancen der Digitalisierung“ nutzte. Weniger politisch ausgedrückt heißt das so viel wie: Euer Geschäft wächst, ihr braucht keine Hilfe, ihr solltet stattdessen mehr Gas geben.

Die Ansage war klar. Daran hat der folgende Auftritt von SPD-Parteichef Lars Klingbeil wenig geändert. Auch er war am gestrigen Dienstag Redner beim BDZV-Kongress und sagte:

„Wir als SPD werden in den Haushaltsverhandlungen darauf drängen, dass es zur Zustellförderung kommt.“ 

Die SPD hatte das als Teil der Vorgängerregierung bereits auf der Agenda. Dass sie in Gespräche „dränge“ ist das Mindeste, das sie unternehmen kann. Und das heißt erst einmal genauso wenig wie die Aussagen von Ricarda Lang. Auch die Grünen-Chefin war beim Kongress zu Gast und sagte:

„Wir haben den Prüfauftrag im Koalitionsvertrag. Und wir wissen, dass wir an dieser Stelle auch liefern müssen als Ampel.“

„Prüfen“ heißt nicht „überweisen“. Und auch wenn mit Kassenwart und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am gestrigen Dienstag schnell ein Verantwortlicher für die aktuelle Lage gefunden war: Lang weiß auch, dass es mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Staatsministerin Claudia Roth grüne Regierungspolitiker sind, die sich inhaltlich für nicht zuständig halten und eine Ausarbeitung der Ideen blockieren. Auch deshalb lautete ihre Antwort auf die Nachfrage, ob die Förderung denn überhaupt kommen werde, so:

„Mein Ziel ist, dass wir vorankommen.“

Erst Corona-Nachwehen, dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, jetzt die angespannte Haushaltslage: Für die Regierung gab es viele gute Gründe, sich nicht mit der Zustellförderung zu befassen und sie wird weitere finden. Wer auch immer in der Koalition dafür oder dagegen ist: Über diese Frage wird sie sich nicht weiter spalten. Und mit Blick auf die aktuellen Umfrageergebnisse der AfD wäre sie zudem gut darin beraten, jede Distanz zur Presse zu wahren.

Dass die Verleger selbst nicht mehr an die Zustellförderung glauben, zeigt auch ihre jüngste Forderung. Als Alternative schwebt ihnen nun die Senkung der Mehrwertsteuer vor. Auch hier sind die Reaktionen aus der Politik zurückhaltend. Gelinde gesagt. Das bedeutet: Die Verleger werden wohl weiter auf sich allein gestellt bleiben und es wird Zeit, zu handeln – mit in die Zukunft gerichteten Maßnahmen. 

Eine davon hat am Dienstag Madsack-CEO Thomas Düffert vorgestellt. Ende dieser Woche wird in Prignitz in Brandenburg die Lokalausgabe der Märkischen Allgemeinen zum letzten Mal gedruckt erscheinen. Beim BDZV beschrieb er, wie Verlag und Redaktion sich und ihre Leser darauf eingestellt haben. Es war ein interessanter Vortrag, der mich an den Nordschleswiger erinnert hat. Vor zwei Jahren hat auch die kleine Zeitung aus dem deutsch-dänischen Grenzgebiet ihr gedrucktes Produkt eingestellt und erscheint seitdem nur noch digital. Der Nordschleswiger ist ein Fall, den wir in Zukunft noch oft sehen werden – und den man als Zeitungsmanager deshalb kennen muss. Wir haben damals über die Transformation berichtet.

Die Einstellung der gedruckten Ausgabe in Prignitz ist übrigens Teil des von Madsack ausgerufenen Digital Tracks. Auch über ihn haben wir bei Medieninsider bereits geschrieben

Und noch eine News mit Lesetipp: Beim BDZV-Kongress bestätigte Vorstandsmitglied Stefan Hilscher, dass die Zeitungsverleger im Streit mit der ARD über die Ausgestaltung ihrer Online-Angebote nun die EU-Kommission anrufen. Man sei in „vertiefenden Gesprächen“, um eine „Beihilfebeschwerde“ einzulegen. Auch über diese Eskalation nach Brüssel haben wir bei Medieninsider bereits vor einigen Wochen berichtet. Mein Kollege Volker Nünning hat die Details für dich.

Zweifel an den Aussagen einer wichtigen Belastungszeugin in der Causa Reichelt haben beim Spiegel nun zu einer Korrektur der Berichterstattung geführt. Die Entscheidung erhöht auch den Druck auf die Jury des Stern-Preises. Die hatte sich bislang geweigert, die Auszeichnung als Geschichte des Jahres (2022) zu überprüfen.

2023 erwarten euch auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN über 100 Keynotes, Panels und Masterclasses mit den wichtigsten Köpfen der Branche. Von Audio bis VOD, von Print bis VR – ganz unter dem Motto „Intelligence“. Sichert euch noch bis 30.09. 20% Rabatt.

Wenn Führungskräfte die Medienbranche verlassen, liegt das nicht immer am Verhältnis zum Vorgesetzten oder an der schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Medienhäuser. Immer häufiger ist es ein ganz anderer Grund: Die Menschen erleben sich und die Branche nicht als authentisch. Sie haben das Gefühl, dass von ihrer Führungsrolle nur noch die Rolle übrig geblieben ist, die sie spielen müssen – und sie sich selbst dabei verleugnen.   

MOVACT

Berlin oder remote

Medieninsider

Berlin oder remote

Medieninsider

Berlin oder remote

Möchtest du auch deine Stellen in unserem Transformationsmarkt platzieren? Dann stelle sie hier online ein oder schreib eine E-Mail an [email protected].

News

Radio Bremen hat 2022 einen Überschuss von fast 2,6 Millionen Euro erzielt – das Geld muss für die kommende Beitragsperiode zurückgelegt werden (mehr erfahren)

► Das Satire-Magazin Titanic wendet unter anderem mit 6000 neuen Abonnenten die Insolvenz ab (mehr erfahren)

► Laut Business Insider Deutschland sammelt der RBB derzeit Pflichtverletzungen von Ex-Intendantin Patricia Schlesinger, um ihr neben dem Ruhegeld auch die Betriebsrente von rund 220.000 Euro jährlich zu verweigern (mehr erfahren)

► Die FAZ testet Zusammenfassungen von Artikeln in jeweils vier Stichpunkten, die von künstlicher Intelligenz erstellt werden (mehr erfahren)

► Die Handelsblatt Media Group startet ein Tool, das mithilfe von Text-Mining und Machine-Learning Trendthemen anhand von Suchanfragen ermittelt (mehr erfahren)

► Laut dem Landgericht Hamburg ist die Repräsentativität von Umfragen des Start-ups Civey „schwer vorstellbar“ – gegen ein entsprechendes Werbeversprechen war Konkurrent Forsa vorgegangen. Civey ist unter anderem Partner von Spiegel, Focus Online und T-Online (mehr erfahren)

► Das Berlusconi-Medienunternehmen Media for Europe (MFE) weitet seine Beteiligung an ProSiebenSat.1 auf fast 29 Prozent aus, Sendergruppenchef Bert Habets kündigt an, enger mit MFE zusammenarbeiten zu wollen (mehr erfahren)

► Spotify will mit dem KI-Übersetzungtool „Whisper“ von OpenAI Podcasts in andere Sprachen übersetzen (mehr erfahren)

Entdeckungen:

René Martens beschreibt bei Übermedien, wie die Tantiemen der VG Wort wegen der Masse an Online-Texten geringer werden – und wie manche Urheber doppelt und dreifach verdienen (mehr erfahren)

Harald Hordych porträtiert in der SZ Klara Indernach – die KI-Autorin in Menschengestalt des Kölner Express (mehr erfahren)

David Caswell beschreibt aufwendig mehrere Strategien für Publisher zum Umgang mit künstlicher Intelligenz und gibt Tipps, wie sich Newsrooms KI zunutze machen können (mehr erfahren)

Der TikTok-Trendradar von Medieninsider informiert dich fortlaufend über die aktuellen Themen-Trends auf der Videoplattform:

► 17. September 2023: Das #RomanEmpire erobert TikTok | International & Trendwelle

► 7. September 2023: „Olaf Schwammkopf“ – Scholz-Memes erreichen TikTok | Trendwelle

► 4. September 2023: Auf TikTok entsteht Sprite-Cranberry-Kult | International & Prognose

► 3. September 2023: So funktioniert der #girlmath-Trend | International

Du willst erfahren, was dahinter steckt und welche Reichweiten die Trends in Aussicht stellen? Alle relevanten Infos kannst du als Medieninsider hier abrufen. Und hier kannst du den News-Alert per Newsletter bestellen.

So hilfst du dabei, Medieninsider bekannter zu machen!

Danke fürs Lesen, ! Wenn dir der Lese-Letter gefällt, leite ihn gerne an Kollegen, Bekannte oder Freunde weiter. Wir freuen uns auch, wenn du in sozialen Netzwerken auf unsere Artikel hinweist! In dieser Woche hat das unter anderem Stefan Niggemeier und Marcus Bösch getan.

Wenn du denkst, dass auch deine Kollegen Medieninsider lesen sollten, dann empfehlen sich unsere Corporate-Angebote. Mehr Informationen dazu findest du hier.

Viele Grüße sendet dir

Marvin

LinkedIn icon
Twitter icon
Facebook icon
Instagram icon

Copyright (C) . All rights reserved.