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Lese-Letter 38/2023
Florian Harms, T-Online, Verlinkungen, Paid-Content-IVW, Spiegel, Redaktionsbeirat, Charlie Beckett, KI
Hallo !
Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:
► Florian Harms predigt Transparenz, doch sein Paradebeispiel ist ein Sündenfall – mit dem er nicht alleine ist
► Kevin Dusch hat die Paid-Content-IVW analysiert und erklärt, wie FAZ und Rheinische Post teilweise auf dreistellige Wachstumsraten kommen (direkt zum Artikel)
► Während manche Mediendienste „in der Branche“ von einem Redaktionsbeirat beim Spiegel hören, erfährst du bei Medieninsider längst die bislang bekannten Details (direkt zum Artikel)
► Alexandra Borchardts Interview mit KI-Experten Charlie Beckett kannst du hier auf Englisch lesen (direkt zum Interview)
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Als Chefredakteur von T-Online trägt Florian Harms ein Mantra vor sich her wie der Pastor das Amen in der Kirche: Transparenz.
Harms wird nicht müde zu predigen, wie offen er und seine Redaktion mit ihrer Arbeit umgehen. Eines seiner Lieblingsbeispiele: der Quellenkasten. In ihm listen Redakteure alle Quellen auf, die sie für ihren Text verwendet haben. Sobald er mal mehr als eine Handvoll Verweise verzeichnet, teilt Harms seine Freude darüber. Von der Twitter-Kanzel aus preist er dann den „vorbildlichen Quellenapparat“.
Transparenz, hier kann man dem Gebot Harms’ nur beipflichten, sollte dem Journalisten heilig sein. Sie stärkt die Glaubwürdigkeit. Besonders in einer Zeit, in der viele Menschen darüber klagen, dass „die Medien“ ihnen Informationen vorenthalten, sie aus dem Kontext reißen oder gar erfinden, ist das von besonderer Bedeutung. Doch auch bei T-Online wird gesündigt. Die Transparenz hat ihre Grenzen. Sie erreicht sie sogar ziemlich zügig.
Denn wirklich vorbildlich wäre es, würde T-Online die Quellen auch verlinken. Man würde der Leser-Gemeinde nicht nur andeuten, aufmerksam recherchiert zu haben, sondern sie auch befähigen. Und zwar dazu, sich weiteren Kontext zu erschließen, weil sie zu einer zitierten Aussage das ganze Interview oder zu einer „Drucksache 20/8046“ die komplette Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage lesen könnte. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit.
T-Online verzichtet aber nicht nur auf die Verlinkung von Quellen, sondern versteckt sie auch noch am unteren Ende des Artikels. Der Quellenkasten wird zum Feigenblatt. Mit Transparenz hat das nichts zu tun.
Auf das Regelwerk angesprochen, sagt T-Online: nichts. Eine Anfrage von Medieninsider blieb ohne Antwort.
Das Ströer-Portal hat es zwar perfektioniert, Links zu vermeiden und dabei auch noch professionell auszusehen, ist mit dem Verhalten aber nicht allein. Selbst erlebt: Der Tagesspiegel, dessen Redakteure sich öffentlich pikieren, wenn ihnen Ähnliches widerfährt, schreibt ganze Artikel ab, benennt die Quelle sogar nach Hinweis erst korrekt – verlinkt sie aber trotzdem nicht.
Zahlreiche Publisher folgen dem Gebot „Du sollst nicht verlinken“. Sie lieben die Arbeit ihres Nächsten, als sei es ihre eigene. Nur würdigen sie sie nicht. Stattdessen reichern sie ihre Artikel mit Verweisen auf eigene nutzlose Themenseiten, vermeintlich verwandte Artikel oder sogar werbliche Affilliates an, die externe Quelle kommt aber oft zu kurz.
Die Publisher verkaufen sich als Qualitätsmedien, entmündigen aber ihre Leser. Warum? Das weiß eigentlich niemand so genau.
Die Erklärungen hinter vorgehaltener Hand sind teils abstrus. Von einem Spiegel-Redakteur erfuhr ich mal, es handele sich um Policy. Ähnlich lautete die Antwort einer Führungskraft der öffentlich-rechtlichen Tagesschau, die generell nicht auf Artikel hinter einer Paywall oder werblich finanzierte Seiten verlinke – also auf so gut wie gar keine.
Die offiziellen Antworten entsprechen Verhalten der Redaktionen. Der Spiegel sagt, er erwähne andere Medien als Quellen, vor allem bei Exklusivität. Aber:
„Für die Verlinkung von Quellen gibt es keine verbindlichen Regeln.“
Die Antwort der FAZ lässt sich so zusammenfassen: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Auch auf Nachfrage nach einem expliziten Grund findet sie nicht mehr Worte als diese:
„Wir verlinken online grundsätzlich nicht auf externe Texte. Das ist auch in vielen anderen vergleichbaren Nachrichtenportalen unüblich.“
Die Tagesschau führt das oben bereits angedeutet aus, nennt als Grund für ihr Verhalten die höhere Gewalt:
„In den Fällen, in denen Tagesschau.de auf die Verlinkung der Originalquelle verzichtet, ist das oft eine direkte Folge der rechtlichen Vorgaben des Medienstaatsvertrags. Dieser verbietet [...] ausdrücklich ‘Verlinkungen, die unmittelbar zu Kaufaufforderungen führen’.“
Was also mögen die wirklichen Gründe sein? Eitelkeit oder schlicht Ignoranz? Ist es die Angst, der Nutzer könnte auf einer anderen Website landen und nicht mehr zurückkommen? Vermutlich aus einem Mix aus allem – und sogar aus technischen Gründen.
Im Jahr 2023 diskutiert die Branche über Chancen und Risiken durch künstliche Intelligenz und Publisher scheitern noch immer an Hyperlinks, auch weil das Gedruckte noch immer priorisiert wird. Bei der Süddeutschen beispielsweise werden viele Artikel zuerst fürs Blatt produziert, landen nach Redaktionsschluss dann online. So berichteten es mir schon mehrfach Insider. Bei Print to Online gehen verloren: die Links. Nachgetragen werden auch hier höchstens die zur eigenen Website. Auch die Süddeutsche ließ Fragen von Medieninsider unbeantwortet.
Der Link auf externe Quellen. Er sollte eine journalistische Tugend sein, erfolgt aber aus Not.
Im August standen die Zeichen für Paid Content auf Wachstum – alle Publisher legten zu. Dafür sorgten vor allem Angebote im Niedrigpreissegment. Besonders gut lief es für die Rheinische Post und die FAZ. Bild wuchs dagegen kaum.
Die MVFP Future Media Now in Berlin gibt Einblicke in Innovations- und Transformationsprozesse: Sandra Dittrich (720 Health) spricht über Innovation durch Partnerschaften, Julia Kunstmann (OTTO DOCK 6) über Impulse durch Startups & Michael Voss (Bauverlag) über die Notwendigkeit von Wandel.
Die für weite Teile der Redaktion überraschende Trennung von Chefredakteur Steffen Klusmann und Übernahme durch Dirk Kurbjuweit ist beim Spiegel noch nicht überwunden. Um zukünftige Erschütterungen zu vermeiden, wollen sich manche nun Gehör verschaffen – in einem neuen Redaktionsbeirat. Was er bezwecken soll, wer hinter der Idee steckt und was die Initiative mit der Mitarbeiter KG zu tun hat.
Im Medieninsider-Interview teilt der Leiter des internationalen JournalismAI Project Charlie Beckett seine Ansichten zur Disruptionskraft von KI für die Medienbranche und eine mögliche neue Machtverteilung unter den Tech-Riesen. Das Interview gibt es jetzt auch auf Englisch.
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News
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Marvin
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