Lese-Letter 35/2023

Süddeutsche, Aiwanger, Fleischhauer, Nius, Reichelt, Spiegel, Kurbjuweit, Bild, Marion Horn

Hallo !

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:

► Weshalb nicht nur Hubert Aiwanger, sondern auch die Süddeutsche einige Fragen zu beantworten hat

► Weshalb Jan Fleischhauer sein Engagement beim Reichelt-Portal Nius überdenkt (direkt zum Artikel)

► Wie Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit die These verstärkt ganz im Sinne der Geschäftsführung zu agieren (direkt zum Artikel)

► Welche Ressorts Bild-Chefin Marion Horn neu schnürt und welches Personal sie dafür zur roten Gruppe zurückholt (direkt zum Artikel)

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Es ist nicht nur Hubert Aiwanger, der jetzt bezüglich seines eigenen Verhaltens zahlreiche Fragen zu beantworten hat. Auch die Süddeutsche Zeitung sollte welche beantworten. Nicht nur sich selbst, sondern am besten gegenüber der Öffentlichkeit, in deren Dienste der Journalismus steht. Immer.

Mit ihrer Berichterstattung über den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten hat sie dem Journalismus einen Bärendienst erwiesen. Es geht nicht darum, ob die Süddeutsche über den Verdacht, dass Aiwanger in Jugendjahren ein antisemitisches Flugblatt verfasst hat, berichten durfte. Es geht darum, wie sie es getan hat.

Am vergangenen Samstag veröffentlichte die Tageszeitung ein Stück auf ihrer Seite 3 mit der Überschrift: Hubert Aiwanger und das Auschwitz-Pamphlet. Es ging um ein Flugblatt, das der heutige Parteivorsitzende der Freien Wähler 1987 im Alter von 17 Jahren verfasst haben soll. Was den Inhalt des Flugblattes angeht, scheiden sich die Geister nur dahingehend, ob es nur nationalsozialistisches Gedankengut verherrlichte oder auch antisemitisch war. Die Süddeutsche transportierte den Eindruck, dass Aiwanger der Autor ist, so sehr, dass am Ende der Lektüre eigentlich kein Zweifel daran blieb.

Die Seite 3 am Samstag ist für die Süddeutsche das wichtigste Stück der Woche. Wer überhaupt nur einen Text der SZ in der Woche liest, sollte diesen lesen. Nur war der Artikel über Aiwanger weder einer Seite 3 im Speziellen noch der Süddeutschen im Allgemeinen noch überhaupt einer Verdachtsberichterstattung würdig. Deutlich wird dies nicht nur in der Voreingenommenheit des Artikels, sondern auch beim Drama, das sich seither abspielt. Denn der Aiwanger-Hubert präsentierte wenig später seinen Bruder Helmut, der das Pamphlet verfasst haben will. Die Aiwanger-Affäre wurde damit auch zur Causa Süddeutsche.

Die weitere Berichterstattung der SZ ist seither auch Krisen-PR in eigener Sache. Die Zeitung legte scheibchenweise weitere Indizien nach, die Hubert Aiwanger weiter in die Ecke drängen sollten.

► Ein Gutachten kam zum Schluss, dass das Pamphlet „sehr wahrscheinlich“ auf einer Schreibmaschine geschrieben wurde, zu der auch der junge Aiwanger Zugang gehabt haben muss.

► Sie legte teilweise eine Quelle weiter offen, um die Glaubwürdigkeit zu untermauern. Die Story soll auf einen Lehrer und damit einen Zeitzeugen zurückzuführen sein.

► Zudem verwies sie darauf, Aiwanger insgesamt drei Mal mit Rechercheergebnissen konfrontiert und damit Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben zu haben, der wiederum aggressiv reagierte.

► Am gestrigen Dienstag legte die SZ mit einer „Parteifreundin“ Aiwangers nach, die bezüglich des Papiers schon 2008, als Aiwanger zum Parteichef aufstieg, um Gefahrenabwehr bemüht gewesen sei.

Es sind starke Indizien. Sie erhärten den Verdacht, dass Aiwanger mehr mit dem Flugblatt zu tun hatte, als Kopien davon im Schulranzen bei sich getragen zu haben. Und deshalb stellen sich Fragen, wie:

Weshalb hat die SZ diese weiteren Indizien der Öffentlichkeit zunächst vorenthalten?

Weshalb hat sie nicht darauf gesetzt, die starken Indizien nüchtern auszuspielen und den Artikel stattdessen derart emotionalisiert?

Aber auch wenn es starke Indizien sind: Sie haben nicht unbedingt ausgereicht, um Aiwanger derart in die Nähe der Urheberschaft zu rücken, dass daran kaum Zweifel blieben. Auch hat Aiwanger, anders als die SZ anschließend behauptet, die Vorwürfe nicht „im Kern“ bestätigt.

Die SZ hätte ein politisches Beben auslösen können, ohne dass es sie gleich mit erschüttert hätte, ohne sich des Aktivismus verdächtig zu machen. Dass sie diese Disziplin beherrscht, hat sie 2011 bewiesen, als ihre Berichterstattung der Anfang vom Ende von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) war.

Am gestrigen Dienstag erschien in der SZ ein Kommentar. In ihm heißt es:

„Aiwanger hat die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit selbst gestiftet und Vertrauen zerstört – ob er das Flugblatt nun verfasst hat oder nicht. Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an, der Rest ist schon schrecklich genug.“

Kaum zu glauben, dass diese Worte aus der Feder des Chefredakteurs Wolfgang Krach stammen. Auch wenn es politisch nicht mehr auf die Urheberschaft ankommen mag und Krach in diesem Sinne Recht hat, zeugt sein Fazit gleichzeitig von Ignoranz. Denn journalistisch kommt es darauf an.

Der Kommentar wirft die Frage auf, ob die SZ sich nun Folgendes erhofft: Den Vize mit publizistischer Härte aus dem Amt zu katapultieren, um von eigenen Verfehlungen abzulenken. Es ist ein Impuls, den man so oft verspürt: Egal, wofür der Täter bestraft wird, Hauptsache er wird bestraft. So kann man denken und sich anschließend auf die Schulter klopfen. Nur sollten Journalisten so nicht denken.

Die Causa Aiwanger/Süddeutsche ist ein weiterer Fall, der den Journalismus zur Selbstreflexion ermahnt. Eingetreten ist sie in der Redaktion der Tageszeitung offenkundig noch nicht. Zumindest verzichtete die Chefredaktion am Dienstag darauf, Medieninsider ein paar entsprechende Fragen zu beantworten.

In der von der Chefredaktion aufgelegten Zusammenfassung der Redaktionskonferenz am Montag hieß es:

„… Es gab viel Lob für die Recherche und Respekt für die Arbeitsleistung der Autorinnen und Autoren, auf denen auch viel Druck gelastet hat. Judith Wittwer sagte, die SZ habe die Faktenlage klar aufgezeigt und dokumentiert, wann und wie häufig Aiwanger kontaktiert worden sei. Es gab auch Diskussionen darüber, ob wir uns nicht angreifbar machen, weil die letzte Lücke nicht geschlossen habe werden können. Auch über den Umfang und die Form der Berichterstattung wurde diskutiert.“

Und:

„Eine Lehre ist, dass in solchen Fällen früher die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Leserdialog und Social Media eingebunden werden müssen, damit hier rasch auch personell reagiert werden kann.“

Es bleibt zu hoffen, dass es nicht die einzige Lehre sein wird, die man bei der Süddeutschen Zeitung ziehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Süddeutsche die Gelegenheit ergreift und die Analyse nicht nur ihren Kritikern überlässt. Einen Ort dafür gibt es auch bei der SZ. Er heißt SZ Werkstatt. Der letzte Beitrag stammt von Anfang 2022 und hat sich nicht ganz ohne Selbstbeweihräucherung mit der Frage befasst, wie die SZ von den Olympischen Spielen in Peking berichtete.

Es ist nicht nur an der Zeit, die Werkstatt aus der Versenkung zu holen. Sondern auch ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen.

Stefan Niggemeier hat im Deutschlandradio die Hoffnung geäußert, dass wir als Gesellschaft in der Lage sind, die Ebene der Medienkritik von der politischen zu trennen. Auch wir hoffen und glauben: Man kann – und man muss – sich kritisch mit der Süddeutschen auseinandersetzen, ohne das Inhaltliche (in dem Fall Aiwangers Rolle) zu verharmlosen. Deshalb sei an dieser Stelle auch der Text Niggemeiers empfohlen, der die inhaltlichen Ebenen auseinandernehmen kann, wie kaum ein zweiter. Weiter unten im Newsletter haben wir einige medienrechtliche Analysen verlinkt.

Mit Jan Fleischhauer sollte einer der meistbeachteten Kolumnisten Deutschlands eine eigene Sendung auf dem Portal bekommen, das rund um die Aktivitäten von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt entsteht. Nach der Ankündigung im Juli passierte erst einmal: nichts. Und das könnte nach Informationen von Medieninsider auch so bleiben – was auch einen im Hintergrund schwelenden Konflikt bei Nius noch einmal verschärfen dürfte.

Wie kann sich die Streamingbranche angesichts neuer Technologien, Subscription Fatigue und Co. sicher für die Zukunft aufstellen? Antworten liefert der neue Report von XPLR: MEDIA in Bavaria mit Expert:innen-Interviews und bayerischen Best Cases.

Der neue Chefredakteur Dirk Kurbjuweit sorgt für weitere strukturelle Veränderungen beim Spiegel. Nach Informationen von Medieninsider löst er dafür eine Redaktionseinheit auf, die als zentral im Streit zwischen seinem Vorgänger Steffen Klusmann und Geschäftsführer Stefan Ottlitz galt. Davon ist auch eine Personalie betroffen, die unter Klusmann umstritten war. 

Bild-Chefredakteurin Marion Horn besetzt zwei wichtige Posten auf Leitungsebene neu. Auffällig: Die beiden neuen Führungskräfte sind nicht nur Frauen, sondern auch Rückkehrerinnen zur roten Gruppe – die nun weitreichende Verantwortung bekommen.

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News

► Der NDR zeigt Ex-Bild-Chef Julian Reichelt an und wirft ihm vor, in einer eidesstattlichen Versicherung gelogen zu haben (mehr erfahren)

► Die RTL-Vermarktungstochter Ad Alliance übernimmt ab 2024 die Vermarktung der Digitalprodukte von Bauer Advance und wirbt den Kunden damit von Ströer ab (mehr erfahren)

RTL überprüft nun etwa 100 Beiträge von Ex-Reporter Maurice Gajda, nachdem er durch die Veröffentlichung eines gefälschten Tweets, den angeblich Frauke Petry abgesetzt hatte, aufgefallen war (mehr erfahren)

► Die Spiegel-Gruppe übernimmt von Gruner + Jahr die Anteile an 11 Freunde und hält damit zukünftig 51 Prozent am Fußballmagazin, 15,7 Prozent verbleiben beim Chefredakteur und Geschäftsführer Philipp Köster, die übrigen 33,3 Prozent hält weiterhin Verleger und Herausgeber Matthias Hörstmann – die Vermarktung geht von Bertelsmanns AdAlliance zu Holtzbrinck (mehr erfahren)

► Das ZDF hat sich nach rund acht Jahren mit der Journalistin Birte Meier auf eine finanzielle Entschädigung geeinigt, nachdem diese wegen ungleicher Bezahlung im Vergleich zu männlichen Kollegen gegen den Sender geklagt hatte – über die Höhe der Entschädigung schweigen beide Seiten (mehr erfahren)

► Berlin und Brandenburg haben einen neuen RBB-Staatsvertrag beschlossen, nach dem  die Intendantin künftig 180.000 Euro statt wie Ex-Intendantin Patricia Schlesinger 300.000 Euro verdient. Zudem soll es künftig zwei Direktoren neben der Intendantin geben (mehr erfahren)

► Die Neue Pressegesellschaft übernimmt vorbehaltlich der Zustimmung des Kartellamts das Schwäbische Tagblatt, bisher besaß der Verlag 49 Prozent der Zeitung – über den Kaufpreis schweigen die Beteiligten (mehr erfahren)

► Die NZZ meldet für das erste Halbjahr 2023 ein Ergebnis von 2,4 Millionen Franken, was einem Rückgang von 68,8 Prozent zum Vorjahreszeitraum entspricht – Grund seien schwache Zahlen bei Beteiligungen wie CH Media; mit 119,3 Millionen Franken stieg der Umsatz um 2,1 Prozent zum Vorjahreszeitraum (mehr erfahren)

► Laut Guardian blockieren Reuters, CNN und der Chicago Tribune ihre Inhalte für OpenAI, damit das Unternehmen damit nicht mehr ihre KI-Produkte wie ChatGPT trainieren kann (mehr erfahren)

► Das Verwaltungsgericht Minden hat geurteilt, dass ein eigener Youtube-Kanal bereits ausreichend für eine Pressetätigkeit ist – unabhängig von seiner Größe und journalistischen Standards (mehr erfahren)

► LinkedIn baut seine Newsletterfunktion aus und hat dafür den Editor überarbeitet sowie das Erstellen von Inhalten und abonnieren erleichtert (mehr erfahren)

Entdeckungen:

► Medienrechtsanwalt Carsten Brennecke widerspricht der SZ, dass Aiwanger die gegen ihn erhobenen Vorwürfe „im Kern“ bestätigt habe (mehr erfahren) und hält sie auch für rechtswidrig, weil das Aiwanger-Dementi hinter der Paywall stand (mehr erfahren)

Thomas Stadler, ebenfalls anerkannter Medienjurist, führt an, dass die Süddeutsche die Bedingungen für eine Verdaöfchtsberichterstattung erfüllt und auch das hinter der Paywall verborgene Dementi nichts daran ändert (mehr erfahren)

► Presserechtler Malte Nieschalk kritisiert in der FAZ die Entscheidung des Mindener Verwaltungsgerichts, laut der sich Youtuber ohne weitere Kriterien Journalisten nennen können – so habe das Gericht nicht geprüft, ob sich Youtuber auf „das datenschutzrechtliche Medienprivileg berufen“ können (mehr erfahren)

Katrin Vernau, die als RBB-Interims-Intendantin auf Patricia Schlesinger folgte, sagt im Interview mit Business Insider Deutschland, dass sie von der Findungskommission für eine neue feste Indendantin erwartet habe, gefragt zu werden, wenn diese sie für die richtige Kandidatin hielte – „Das ist nicht geschehen.“  (mehr erfahren)

► Schriftsteller Ferdinand von Schirach fordert im Stern-Interview, dass Medienhäuser bei falscher Verdachtsberichterstattung in #MeToo-Fällen eine Millionenstrafe zahlen sollten (mehr erfahren)

Der TikTok-Trendradar von Medieninsider informiert dich fortlaufend über die aktuellen Themen-Trends auf der Videoplattform:

► 29. August 2023: Städte-#BestOf: Die Stunde der Lokalinhalte

► 17. August 2023: #10k-Trend – So einfach gewinnen TikToker:innen neue Follower

► 11. August 2023: Jugendwort des Jahres: Das sind die Spitzenreiter auf TikTok

► 7. August 2023:  „Mal ja, mal nein” – Schiefe Noten werden zu TikTok-Hit

► 3. August 2023: Frust auf TikTok nach dem #girlfriendday groß

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Danke fürs Lesen, ! Wenn dir der Lese-Letter gefällt, leite ihn gerne an Kollegen, Bekannte oder Freunde weiter. Wir freuen uns auch, wenn du in sozialen Netzwerken auf unsere Artikel hinweist! In dieser Woche hat das unter anderem Heiko Scherer, Frank Haring und Julie van Wangenheim getan.

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Viele Grüße sendet dir

Marvin

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