Lese-Letter 16/2023

Mathias Döpfner, Benjamin von Stuckrad Barre, People & Culture, Paid Content, ARD

Hallo !

Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:► Turbulente Tage bei Springer – eine Zwischenbilanz

► Heute erscheint der mutmaßliche Schlüsselroman von Benjamin von Stuckrad-Barre zur Reichelt-Affäre – wir haben schon 2021 über seine besondere Rolle im Compliance-Verfahren berichtet

Gute Nachrichten im Paid-Content-Geschäft: Einige Publisher legten im März wieder zu, berichtet Kevin Dusch in seiner monatlichen IVW-Analyse

► In den Entdeckungen haben wir lesenswerte Analysen und Meinungen zu dem, was bei Springer vor sich geht, gesammelt

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Axel Springer hat wieder einmal turbulente Tage hinter sich – und sie sind noch lange nicht vorbei. Eine Hilfe, um die Übersicht zu behalten, inklusive Analyse:

Was ist passiert?

Vergangenen Donnerstag berichtete die Zeit über eine Vielzahl persönlicher Nachrichten von Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner. Sie gaben Einblicke in sein Weltbild. Er begrüßte den Klimawandel, beschrieb Angela Merkel als „Sargnagel der Demokratie“, bezeichnete Ostdeutsche als „Rassisten oder Kommunisten“ und sprach von „intolerant muslims und all das andere Gesochs“. Und sie legten nahe, dass Döpfner direkten Einfluss auf die Berichterstattung von Bild auszuüben versuchte. Er forderte, die FDP im Bundestagswahlkampf zu stärken.

Analyse: Die öffentlich gewordenen Nachrichten enthalten nach bislang bekannten und ebenso umstrittenen Aussagen Döpfners nichts Neues, dafür einmal mehr Erschütterndes. Döpfners Äußerungen sind nicht visionär, sondern reaktionär. Die Ausdrucksweise des sonst so intellektuellen Döpfners hat mehr von Gosse als von Goethe.

Döpfners Reaktion(en)

Über seine erste Reaktion war noch am selben Tag bei Medieninsider zu lesen. In einer schriftlichen Mitteilung im Intranet bemühte er sich, seinen Aussagen Kontext zu verleihen. Er habe keine Vorurteile gegenüber Ostdeutschen oder Muslimen, der Klimawandel sei bedrohlich und seine Redaktionen unabhängig. Später versuchte er sich an einer öffentlichen Entschuldigung, veröffentlicht in Bild. Sein Handy sei manchmal ein „Blitzableiter“, schrieb er dort. Dass solche Nachrichten an die Öffentlichkeit gelangt sind, daraus könne man Lehren ziehen.

Analyse: Was Döpfner aus der Vergangenheit gelernt hat: Er versuchte gar nicht erst, die Aussagen zu dementieren oder mit Ironie zu verteidigen. Es hätte ihm ohnehin kaum jemand geglaubt. Seine Klarstellungen im Intranet waren bezogen auf die Sache und direkt. Was er aus der Vergangenheit nicht gelernt hat: Empathie. Es fehlte in der internen Mitteilung eine Entschuldigung gegenüber jenen, die er verletzt hatte. Vor allem gegenüber den eigenen Mitarbeitern aus dem Osten. Darauf ging er in seinem Statement bei Bild zwar ein, ließ dafür alles andere weg.

Döpfners öffentlich gewordene Nachrichten sind würdelos, viele von ihnen sind aber auch: von der Meinungsfreiheit gedeckt. Auf eine eigene Meinung hat jeder ein Recht, auch wenn sie schwer zu ertragen ist. Selbstverständlich waren seine Nachrichten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sie sind aber von öffentlichem Interesse. Döpfner ist der mächtigste Verleger Deutschlands. Was er denkt, ist relevant. Besonders, wenn er seine Agenda in der größten Tageszeitung Deutschlands lesen will. Seine direkten Anweisungen, die FDP zu fördern, sind eine Grenzüberschreitung. Er hat keine Blattlinie vorgegeben, er hat ins Blatt diktiert. Das war keine Publizistik, das war Politik. Schon durch den Versuch der Einflussnahme hat Döpfner seine verlegerische Macht missbraucht.

Die internen Reaktionen

Mitarbeiter reagierten in Gesprächen mit Medieninsider und bei internen Diskussionen mindestens erstaunt, meist entsetzt und vereinzelt persönlich betroffen. Besonders Döpfners Wortwahl („Gesochs“), Ansichten über den Klimawandel („nicht bekämpfen, sondern darauf einstellen") oder die Verunglimpfung von Ostdeutschen („Kommunisten oder Faschisten (…) Eklig.“) stießen übel auf. Bei Welt will man nun einen Redaktionsausschuss reaktivieren, der für die redaktionelle Unabhängigkeit einstehen soll. Bei Bild entschied man sich für Berichterstattung in eigener Sache. Chefredakteurin Marion Horn beteuerte, sich nicht reinreden zu lassen und kommentierte: „Eigentlich ist eine Entschuldigung nötig, Chef.“

Analyse: Die außergewöhnliche Reaktion von Bild unterstreicht auch, wie groß der entstandene Schaden ist. Die ehemalige DDR zur „Agrar- und Produktions-Zone“ machen zu wollen, kommt zumindest dort, wo Bild Zeitungen und Anzeigen verkauft, nicht gut an. Das gleiche gilt für die Politik, in der die journalistische Integrität in einigen Lagern noch einmal mehr angezweifelt werden dürfte als ohnehin. Das erschwert den Redaktionen die Arbeit. Die Gewinner sind ausgerechnet die Bild-Chefs: Marion Horn hat ihre Position als neue Vorsitzende der Chefredaktion gestärkt. Robert Schneider, der in dieser Woche seinen Dienst als Chefredakteur angetreten hat, wird seiner ungewollten Rolle als Unruhestifter (Stichwort Drogentest) zum (ebenso ungewollt) Maskottchen. Seine ostdeutsche Herkunft wurde in den vergangenen Tagen mehrfach betont.

Die externen Reaktionen

Die Rücktrittsrufe ließen nicht lange auf sich warten – sie kamen nicht nur aus den Medien, sondern auch aus der Politik. Wer sich nicht öffentlich äußerte, tat dies hinter vorgehaltener Hand. So berichten es Springer-Journalisten aus ihren Gesprächen. Die Konkurrenz von T-Online gab eine Umfrage in Auftrag: Demnach will mehr als jeder zweite Deutsche, dass Döpfner abdankt. Ob das mehr oder weniger Menschen sind als sonst: unklar. Vergleichswerte fehlen.

Analyse: Forderungen nach dem Rücktritt als CEO sind schnell geschrieben, aber kurz gedacht. Was dann? Soll Döpfner in den Aufsichtsrat wechseln oder sich auf eine Rolle als Gesellschafter konzentrieren? So würden ein paar Ebenen zwischen ihn und die Chefredakteure gezogen, an seinen Besitzverhältnissen würde sich nichts ändern. Das bedeutet: Der symbolische Akt des Rücktritts wäre ohne die dazugehörige Selbsterkenntnis nichts wert. Döpfner muss sich nur eine Frage ehrlich beantworten: Schadet er seinem Unternehmen mehr als er hilft? Zwischen ihm und der Antwort steht nur sein Ego.

Und jetzt?

Es bleibt ein Dilemma. Mathias Döpfner ist prägend für das Unternehmen Axel Springer und dessen Vision. Zugleich ist er längst zur Belastung geworden. Döpfners größter Fehler war zu viel Nähe gesucht und zugelassen zu haben, er hat die professionelle Distanz verloren – und das in mehrere Richtungen. Das Risiko, einzureißen, was er aufgebaut hat, dürfte nie größer gewesen sein. Die beiden vergangenen Jahre haben gezeigt, dass er seinen Konzern nicht nur in unruhiges Fahrwasser gelenkt hat, sondern geradezu in einen veritablen Sturm – der ihm gleich heute wieder um die Ohren peitschen wird.

Am heutigen Mittwoch nämlich erscheint Benjamin von Stuckrad-Barres Roman Noch wach? Es wird bereits seit Monaten darüber spekuliert, dass der Autor darin die Affäre Reichelt und auch die Rolle Döpfners verarbeitet hat. Egal, was drin stehen wird: Sicher ist, dass es für weitere Spekulationen rund um und Turbulenzen bei Axel Springer reichen wird. Und es ist schwer zu glauben, dass es das Letzte sein wird, was Döpfner weiter in Bedrängnis bringt.

Apropos Noch wach?: Was von Stuckrad-Barre überhaupt mit alledem zu tun hat? Darüber habe ich mich bereits im Frühjahr 2021 ausführlich befasst. Über Stuckrad-Barres besondere Rolle im Compliance-Verfahren um den damaligen Bild-Chef Reichelt kannst du hier noch einmal nachlesen.

Die von der Zeit veröffentlichten, persönlichen Aussagen Mathias Döpfners schlugen auch innerhalb des Konzerns hohe Wellen. Die Reaktionen reichten von Erstaunen, über Entsetzen bis hin zur persönlichen Betroffenheit. Auch wenn das Führungspersonal um Schadensbegrenzung bemüht war – den CEO verteidigen fiel ihnen schwer. Der meldete sich kurz darauf selbst zu Wort.

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Die umstrittenen persönlichen Äußerungen von Döpfner, über die vergangene Woche die Zeit berichtete, wirken nach. Am Tag nach Erscheinen des Artikels wurde auch in den Redaktionen von Bild und Welt über den Umgang damit diskutiert. Während die Boulevardzeitung eine redaktionellen Herangehensweise wählte, wurden bei der blauen Gruppe Forderungen nach einem Kontrollgremium laut.

Mit „People & Culture“ versuchen Unternehmen ihren Personalabteilungen mehr Bezug zu New Work und neue Relevanz zu verleihen. Die Vorgänge im Medienkonzern Axel Springer verdeutlichen, dass ein neues Branding nichts bringt, wenn es nicht hält, was es verspricht.

Im März 2023 konnten fast alle Publisher, die ihre Zahlen der IVW melden, die Anzahl ihrer Paid-Content-Abonnements ausbauen. Die Titel scheinen sich von der Stagnation der vergangenen Monate zu erholen. Besonders auffällig war die FAZ: Sie steigerte ihre Paid-Content-Abos im Vergleich zum Vormonat deutlich und wesentlich stärker als die Konkurrenztitel.

Die ARD will unter ihrem neuen Vorsitzenden Kai Gniffke die Digitalisierung weiter vorantreiben und den Ausbau non-linearer Angebote forcieren. Geld für Investitionen soll allerdings nicht nur aus Umschichtungen bisheriger Budgets zusammenkommen. Die ARD will nach Medieninsider-Infos zusätzliche Mittel. Es geht um rund 330 Millionen Euro – und die Frage, ob es das für den Beitragszahler schon gewesen sein soll.

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News:

► Laut der Tagesschau vertritt die Anwaltskanzlei Irle Moser sowohl Julian Reichelt als auch eine Frau, die ihm Machtmissbrauch vorwirft (mehr erfahren)

► Der WDR gewinnt vor Gericht gegen Ex-Reporter Jürgen Döschner, nachdem dieser den Sender wegen Nichtbeschäftigung verklagt hatte (mehr erfahren)

Handelsblatt-Reporter Mathias Brüggmann legt seine SPD-Ämter nieder, nachdem herausgekommen war, dass er über Jahre unter falscher Identität Mitglied war (mehr erfahren)

► Die Medien­gruppe NOZ/mh:n verlässt den BDZV laut Horizont Ende 2023, Gründe seien „Unverständnis und Missbilligung“ bezüglich des Umgangs mit Döpfner (mehr erfahren)

► Der RBB verklagt Ex-Intendantin Patricia Schlesinger laut Business Insider Deutschland auf 250.000 Euro Schadenersatz, nachdem sie zwischen 2016 und 2022 laut der ARD-Anstalt zu Unrecht Bezüge erhalten habe (mehr erfahren)

► Tamedia klagt wegen Persönlichkeitsverletzung gegen den Spiegel, nachdem Anuschka Roshani dem Ex-Magazin-Chefredakteur Finn Canonica in einem Gastbeitrag Mobbing und Machtmissbrauch vorgeworfen hatte (mehr erfahren)

► Der Verlag des österreichischen Kurier plant Einsparungen und will 20 Jobs abbauen, auslaufende Stellen sollen nicht nachbesetzt werden (mehr erfahren)

► Die US-Sender NPR und PBS ziehen sich von Twitter zurück, nachdem dessen Chef Elon Musk sie wegen staatlicher Finanzierungen als Staatsmedien markierte (mehr erfahren)

► Der US-Bundesstaat Montana verbietet TikTok wegen des Verdachts der Spionage und Propaganda (mehr erfahren)

Entdeckungen:

► Medien-Professor Bernhard Pörksen beschreibt in der Zeit, warum die persönlichen Aussagen Mathias Döpfners besonders im digitalen Zeitalter eben keine Privatsache seien (mehr erfahren)

Carolina Schwarz fordert in der Taznach den veröffentlichten Döpfner-Chats ein kritisches Schlaglicht auf die Verlagsbranche zu werfen, die ihm überhaupt erst seine Macht gegeben habe und ihn seit Jahren gewähren lasse (mehr erfahren)

Jonas Hermann kritisiert in der NZZ Döpfners Führungsrolle, in der er die Vorurteile gegen seinen Verlag weiter befeuere, statt nach den Skandalen der letzten Jahre für Ruhe zu sorgen (mehr erfahren)

Marc Felix Serrao, Deutschlandchef der NZZ, wirft der Zeit hingegen „schlechten und unfairen“ Journalismus vor (mehr erfahren)

► Bei Cicero wirft der SPD-Politiker und Ex-Landesminister Mathias Brodkorb der Zeit vor, bei Mathias Döpfner mit zweierlei Maß zu messen – dem Springer-Chef einerseits vorzuwerfen, journalistische Standards zu unterwandern und diese im Bericht dann selbst zu missachten (mehr erfahren)

► Autorin Nora Bossong kritisiert im Deutschlandfunk die Veröffentlichung der Döpfner-Chats und bezeichnet sie als Bärendienst an der Pressefreiheit (mehr erfahren)

► Beim Fachportal LTO analysiert Chefredakteur Felix Zimmermann, wie Döpfner gegen die eigenen Compliance-Richtlinien verstoßen hat (mehr erfahren)

► Ich selbst habe auch meine Überlegungen zu den geleakten Döpfner-Chats in verschiedenen Formaten geteilt, unter anderem beim RBB Inforadio, im WDR 5 Podcast, bei Zapp und im Podcast Alles muss raus von Thilo Mischke.

Der TikTok-Trendradar von Medieninsider informiert dich fortlaufend über die aktuellen Themen-Trends auf der Videoplattform:

► 14. April 2023: Lizenzierte Musik in TikToks & Reels – Influencer:innen warnen vor Abmahnwelle

► 7. April 2023: Das Aus von Riton & Said – wie aus einer Trennung ein Trend wird

Du willst erfahren, was dahinter steckt und welche Reichweiten die Trends in Aussicht stellen? Alle relevanten Infos kannst du als Medieninsider hier abrufen. Und hier kannst du den News-Alert per Newsletter bestellen.

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Danke fürs Lesen, ! Wenn dir der Lese-Letter gefällt, leite ihn gerne an Kollegen, Bekannte oder Freunde weiter. Wir freuen uns auch, wenn du in sozialen Netzwerken auf unsere Artikel hinweist! Dank dafür geht in dieser Woche unter anderem an Thomas Mrazek, Hartmut Feucht, Levin Kubeth, Konrad Weber, Christopher Buschow und Christiane Seeger.

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Viele Grüße sendet dir

Marvin

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