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Lese-Letter 10/2023
Kai Gniffke, junge ARD-Talente, Zukunftsrat, Philipp Welte, Focus, Bunte, Klimajournalismus
Hallo !
Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:► Kai Gniffke ist vom Tagesschau-Chef zum Intendanten mit Politikerphrasen geworden – und das hat Gründe
► Volker Nünning weiß: Die Zukunft wartet nicht, sie rennt der ARD sogar weg
► Otfried Jarren meint: Die Politik soll nicht über Personalien für den Zukunftsrat von ARD und ZDF streiten, sondern grundlegende Rahmenbedingungen
► Philipp Welte kam für eine halbe Stunde zum Focus nach Berlin – hat die Empathie aber in München vergessen
► Beim Focus sollen Franziska Reich und Georg Meck die Chefredaktion übernehmen – und Teile der Belegschaft schon wieder umziehen
► Bei Bunte müssen Mitarbeiter nicht umziehen – ihre Jobs aber werden ausgelagert
► Alexandra Borchardt nennt sieben Vorteile, die sich für Medienmacher aus dem Klimajournalismus ergeben
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Es gibt Journalisten, die wechseln das Metier – beispielsweise in die Politik – und halten dem Handwerk die Treue. Und es gibt Kai Gniffke.
Der ist kein Politiker geworden, sondern wurde vor dreieinhalb Jahren zum Intendanten des Südwestrundfunk (SWR) gewählt (eine Gegenkandidatin) und ist als solcher nun Vorsitzender der ARD. Es ist beachtlich, wie aus dem ehemaligen Chefredakteur der Tagesschau in so kurzer Zeit ein Sprachakrobat geworden ist, der Dinge nicht konkret benennt, sondern Fragen möglichst ausweicht, der kritischen Fragen überhaupt begegnet, als sei er selbst nie Journalist gewesen.
Zeuge davon konnte man in der vergangenen Woche beim Zapp-Talk zur Zukunft der ARD werden. Zugegeben: Die Fragen stellte Tilo Jung. Sie waren oft unpräzise und suggestiv. Sie waren oft aber auch einfach berechtigt. Schon auf die erste Frage antwortete Gniffke professioneller (im negativen Sinne) als Berufspolitikerin Heike Raab (SPD) in der gesamten Sendung. Und ausgerechnet das Fernsehen schien dabei alles andere als Gniffkes Metier zu sein.
Ich könnte an dieser Stelle sehr viel über Gniffkes Unsouveränität und eine missglückte Talksendung schreiben (was nicht nur die Schuld des Intendanten ist). Stefan Niggemeier hat dies aber bereits in einer Weise getan, der kaum etwas hinzuzufügen ist.
Es soll hier vielmehr um die Gründe gehen, weshalb Gniffke reagierte, wie er reagierte – nicht um seine Dünnhäutigkeit, sondern um die Flucht in Politikerphrasen.
Intendanten sprechen wie Politiker, weil sie zu welchen gemacht werden. Im Hinterkopf haben sie immer die nächste Wahl. Sie müssen ihre Ideen nicht einem Verleger oder einem Investor verkaufen, sondern ihren Rundfunk- und Verwaltungsräten, die über ihre Amtszeit entscheiden. Das sind viele einzelne Personen, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen kommen, sich aber alle für gleich bedeutend halten. Anecken fällt da schwer.
Genauso schwer fällt es, öffentlich über Reformen der beitragsfinanzierten Medien zu sprechen, wenn man es intern schon nicht kann. Debattenkultur bei den Öffentlich-Rechtlichen kennt man nur vom Hörensagen. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt und irgendwer ist immer angefasst. Wenn es nicht die eigenen Leute sind, dann die anderen. Öffentliche Gedanken über eine Fusion einzelner Rundfunkanstalten oder gar dem ZDF? Nicht ohne messerscharfe Reaktionen der anderen Intendanten oder der auftraggebenden Bundesländer.
Wer wirklich reformieren will, braucht Rückgrat. Man möchte Gniffke wünschen, dass seines nur angeknackst war – und nicht gebrochen.
Die Themen, denen sich die Öffentlich-Rechtlichen im Allgemeinen und die ARD-Anstalten im Speziellen stellen müssen, sind zahlreich. Die Zukunft wartet nicht, sie rennt sogar davon – im wahrsten Sinne.
Der ARD sind in den vergangenen Monaten und Jahren zahlreiche junge Talente abhandengekommen. Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi oder die Macher des Browserbalett machten rüber zum ZDF. Die Funk-YouTuber von Simplicissimus haben die öffentlich-rechtliche Komfortzone verlassen, um auf eigenes Risiko voranzukommen. Und die Produzenten des Erfolgspodcasts Cui Bono wechselten nach der ersten Staffel sogar zur privaten Konkurrenz von RTL. Unser Autor Volker Nünning hat analysiert, woran das liegt.
Die Medienpolitiker der Bundesländer streiten weiter über die Zusammensetzung des geplanten „Zukunftsrats“ von ARD und ZDF. Damit wird es unrealistisch, noch in diesem Jahr Vorschläge zur Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auszuarbeiten. Während Personalfragen diskutiert werden, kritisiert der Medienwissenschaftler Otfried Jarren die inhaltliche Ausgestaltung und die Rahmenbedingungen. Alles gemeinsam führt zur Frage, ob der „Zukunftsrat“ selbst überhaupt eine Zukunft hat?
Für verkorkste Auftritte hat auch Philipp Welte ein Talent. Der Zeitschriftenvorstand aus dem Hause Hubert Burda ritt gestern in der Berliner Redaktion des Focus ein, um der Belegschaft innerhalb einer halben Stunde nicht nur mitzuteilen, wer Robert Schneider als Chefredakteur ersetzen soll. Er teilte den Mitarbeitern im selben Zuge mit, dass ein beachtlicher Teil der Redaktion abgewickelt wird. Abgewickelt?
Das Wirtschaftsressort, die Fotoredaktion und Layout sollen nach München umgesiedelt werden – weil dort der neue (Co-)Chefredakteur Georg Meck mit seiner Redaktion von Focus Money sitzt und sich weitere „Synergien“ anbieten. In Berlin bleibt damit kaum mehr als eine erweiterte Hauptstadtredaktion übrig. Nach München? Richtig, in die Stadt, aus der der Focus 2016 erst weggezogen ist. Die Aktion war damals ein riesiges Politikum, bot sich aber auch deshalb an, weil man sich damit ein paar Mitarbeitern entledigen konnte. Und dieses Mal?
Die erneute Umsiedlung sei „kein Sparprogramm“, ließ Welte wissen, der nicht als Vorstand eines Konzerns nach Berlin gekommen sei, sondern als Geschäftsführer eines Familienunternehmens. Deshalb sei man auch so umsichtig. Die Arbeitsplätze würden ja nicht verschwinden – nur eben nicht mehr in Berlin sein. Auch dieses Mal könne ja jeder mit, der will. Ganz unrecht hat er nicht. Der Manager hätte am Nachmittag beim Focus verkünden können, was vormittags die Kollegen der Bunten in München erfahren haben. Dort wird ausgelagert statt umzogen. So oder so, beides bedeutet: Kündigungen.
Das Problem auch: So ein (erneuter) Umzug hat nichts mit wollen zu tun, sondern auch mit können. Die Mietpreise in München liegen mittlerweile gut und gerne bei mehr als 20 Euro pro Quadratmeter – kalt. Was die Grafiker und Layouter beim Focus verdienen, weiß der familiäre Geschäftsführer selbst am besten – möchte man zumindest meinen.
Wer hinter den Umzugsplänen einen versteckten Stellanabbau vermutet, liegt sicher nicht falsch. Wo sonst soll das Potenzial der „Synergien“ liegen?
Überhaupt schien in den 30 Minuten wenig Zeit für ehrliche Empathie. Über vermeintliche Scherze wie die bereits gesammelten Erfahrungen bei Umzügen konnte Welte nur selbst lachen. Anderen fiel die Kinnlade hinunter. Auf die Nachfrage, ob es noch weitere Gedanken und Ideen für Sparpotenziale gebe, gab er zu verstehen, dass sie ihm noch nicht ausgegangen seien.
Weltes Welt ist hart, aber nicht herzlich.
Außerdem ist sie gemein: Mit seinem Auftritt sorgte er für einen denkbar schlechten Einstand der beiden neuen Chefredakteure. Der Sache viel beizutragen hatten Franziska Reich und Georg Meck nicht. Wenn einem Teil der Belegschaft die Perspektive genommen wird, lassen sich Visionen schwer vermitteln.
Die Bunte unter Führung von Chefredakteur Robert Pölzer soll Kompetenzen in der Magazinherstellung abgeben. Wie der Burda Verlag am Dienstagmittag gegenüber Mitarbeitern verkündete, werden die Abteilungen Art-Direktion und Grafik ausgelagert.
Journalisten, die über das Klima berichten, wird häufig Aktivismus vorgeworfen. Auch wenn sie dies nur am Rande tun, beispielsweise im Kontext eines Wetterberichts. Unsere Kolumnistin Alexandra Borchardt plädiert für mehr Nüchternheit in der Debatte. Denn aus dem Klimajournalismus ließen sich durchaus Lehren ziehen, die auch in anderen Themenbereichen helfen.
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