Freitags-Letter KW 29

Hey *|FNAME|*! Was ist eigentlich Innovation?

Dein Lese-Letter zum Wochenende

Hallo , 

das Interactive Advertising Bureau Europa hat in dieser Woche seine Jahresprognose für den digitalen Werbemarkt veröffentlicht. Um 5,5 Prozent soll er schrumpfen. Für Medienhäuser, die dieses Phänomen bislang nur aus dem Print-Geschäft kennen, unterstreicht das einmal mehr die Dringlichkeit, seine Geschäfte zu diversifizieren – ein derzeit prominenter Weg: Paid Content. 

Über die Entwicklung digitaler Bezahlangebote habe ich im Interview mit James Hewes gesprochen. Er ist CEO des Publisher-Netzwerks FIPP, das weltweit mehr als 200 Medienhäuser miteinander vernetzt. Er hat also einen ganz guten Überblick darüber, wie sich die Märkte in unterschiedlichen Ländern entwickeln. Gemeinsam mit Partnern erstellt er zudem mehrmals im Jahr eine Übersicht der verkauften Abos nach Medienhäusern und Marken – so weit es geht. Denn: 

„Wir wissen nicht, was wirklich hinter der Paywall passiert.“ 

Hewes gibt sich als Verfechter des digitalen Vertriebsgeschäfts zwar optimistisch, eine zuverlässige Quelle dafür hat aber auch er nicht. Wie sich die Reichweiten zusammensetzen, bleibt eine Blackbox. Wie viele der Abonnenten tatsächlich Geld bezahlen (und wie viel) ist meist unbekannt. Zahlen kommuniziert jeder Publisher für sich selbst. 

Neben der Kritik spricht Hewes aber auch über die Fortschritte im digitalen Bezahljournalismus, wir sprechen darüber, weshalb Leute vor allem für Streamingdienste gerne Geld ausgeben und er erklärt auch, was Manager und Redaktionen beim Aufbau des Geschäfts beherzigen sollten. Unter anderem fordert er: 

„Jeder muss wirklich ehrlich zu sich selbst sein, vor allem wenn es um die Wertigkeit der eigenen Inhalt geht.“ 

Das ganze Interview kannst du wie gewohnt als Medieninsider lesen.  

Mehr News aus der Woche 

Guardian Media Group will ein Fünftel der Stellen streichen

Der Guardian kämpft weiter um wirtschaftliche Stabilität. Gerade hat die Guardian Media Group ihre Zahlen für das Geschäftsjahr 19/20, das im März und damit knapp vor dem großen Ausbruch der Pandemie in Europa endete, präsentiert. Da der Guardian bei seinem digitalen Bezahlmodell auf Spenden setzt, lohnt ein genauer Blick:

▶ Die Umsätze aus dem Digitalgeschäft stiegen gegenüber Vorjahr um 0,5 Prozent auf 125,9 Millionen Pfund. Das Digitalgeschäft macht damit 56 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Dieser fiel um etwa 0,5 Prozent auf 223,5 Millionen britische Pfund. 

▶ Der Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) lag mit 6,9 Millionen Pfund vor Sondereinflüssen 86 Prozent über Vorjahr. Aber:

▶ Das News & Media-Geschäft, in dem die journalistischen Aktivitäten des Guardian und des Observer gebündelt sind, hat den operativen Gewinn (Ebitda) mehr als verdoppelt. Vor Sondereinflüssen standen Ende März 2,1 Millionen Pfund. Ein Jahr zuvor waren es 0,8 Millionen. 

▶ Von den mehr als eine Million Menschen, die 2019/20 für digitalen Journalismus bezahlt haben, seien 790.000 wiederkehrende Zahler gewesen. Das entspricht einem Plus von 20,6 Prozent gegenüber Vorjahr. Die Anzahl der einmaligen Zahlungen steigerte der Guardian um 13,3 Prozent auf 340.000.

Mit Blick aufs laufende Geschäftsjahr trübt sich die Stimmung aber ein.So erwartet die Gruppe einen Umsatzverlust von 25 Millionen Pfund (etwa elf Prozent). Reagiert wird darauf mit Stellenabbau:

▶ Insgesamt sollen etwa 180 Mitarbeiter gehen. Das wäre jede fünfte der zuletzt 1495 Stellen.

▶ Auf den Verlag entfallen davon 110 Stellen – ein Minus von fast 18 Prozent. In Redaktion und Produktion fällt der Verlust deutlich kleiner aus. 70 der zuletzt 869 Stellen sollen wegfallen (ein Minus von acht Prozent). 

Abgebaut wird auch bei der BBCIn dessen Nachrichtenredaktion sollen statt der bislang geplanten 450 Stellen nun 520 wegfallen. Weitere 600 sollen in mehreren Regionalredaktionen folgen. Damit wären mehr als 1000 Stellen betroffen. Weltweit beschäftigt die BBC 22.400 Mitarbeiter.  

… und dem Daily Mirror

Dort, und beim Daily Express, sollen ebenfalls 550 Stellen entfallen. Das entspricht zwölf Prozent der gesamten Belegschaft.

Vox Media bereitet ebenfalls Sparrunde vor

Laut CNBC, das sich auf interne Quellen beruft, lag Vox Media (Vox.com, New York Magazine, The Verge)  im zweiten Quartal 40 Prozent unter der Umsatzprognose. Für das gesamte Jahr wird ein Umsatz von 25 Prozent unter Plan erwartet. Laut Variety könnten 70 Mitarbeiter, also sechs Prozent der Belegschaft, betroffen sein

27 Prozent Nutzerwachstum bei Netflix

Der Abostamm des Streamingdienstes wächst legt im zweiten Quartal um 27,3 Prozent gegenüber Vorjahr zu. Damit zählt Netflix 192,9 bezahlte AbonnementsDie Zahl der Neukunden stieg gegenüber dem Vorquartal um zehn Millionen. Im ersten Quartal gewann Netflix 16 Millionen neue Abonnenten. Der Umsatz stieg im Quartal bis Juni um 24,9% auf 6,1 Milliarden US-Dollar.

Was ist eigentlich Innovation? Ist ja ein schwer zu greifender Begriff. Auf jeden Fall aber erwartet man dahinter was Bewegendes, den nächsten großen Wurf, die Rettung all unserer Probleme, oder?Dass das ziemlich überkauft und überbewertet ist, und der Diskussion über Innovation überhaupt nicht gut tut, zeigt ein  empfehlenswerter Beitrag von Johannes Klingebiel. Der ist inzwischen seit drei Jahren im Innovationsteam der Süddeutschen und meint: 

„Häufig geht es in Innovationsprozessen gar nicht so sehr darum, ob ein Produkt oder eine Technologie tatsächlich innovativ ist, sondern ob es unsere Erwartungen daran erfüllt, wie Innovation auszusehen hat.“ 

Innovation und die Erwartungen daran, meint er, habe auch etwas damit zu tun, Leute auf diese Reise mitzunehmen. Es gehe auch nicht immer um neue Produkte, sondern auch um zwischenmenschliche Aufgaben: 

„Innovationsteams und R&D-Labs müssen ihr Budget und ihre Energie nicht nur in neue Technologien, Entwickler:innen oder hübsche Prototypen stecken, sondern auch in die strategische Kommunikation nach innen und nach außen.“ 

„Wenn Innovation im Journalismus wirklich erfolgreich sein will, muss sie es schaffen, diese Lücke zwischen Vorstellung und Realität zu schließen. Ansonsten wird sie sich damit begnügen müssen, wieder und wieder dem nächsten Hype hinterherzulaufen.“ 

Den wirklich lesenswerten Beitrag mit noch mehr klugen Sätzen findest du auf Klingebiels Blog.

Einfach mal zuhören

Apropos Kommunikation: Wir reden in der Branche viel darüber, unserem Nutzer mehr zuzuhören und seine Bedürfnisse stärker im redaktionellen Alltag zu verankern.Der Aufwand für Leserforschung ist groß, wie folgender Beitrag von Emily Goligoski zeigt. Sie ist die erste inhouse Publikumsforscherin bei The Atlantic und führt für das Medienhaus qualitative Analysen durch.

In einem ausführlichen Blogposting berichtet sie nun über ihre Erkenntnisse aus ihren ersten neun Monaten mit den Nutzern (die man laut Goligoski keinesfalls so nennen sollte). Und sie schreibt auch, wann man es mit der Art und Weise der Leser-Blatt-Bindung direkt lassen sollte:

„Wenn du Probleme hast, abteilungsübergreifende Entscheidungen zu treffen oder du eigentlich schon weißt, dass du mit den Erkenntnissen nicht arbeiten wirst.“

Punkt.

Den gesamten Beitrag von Emily findest du hier bei Medium.com.

Du kennst weitere Beispiele, in denen die qualitative Leserforschung einen festen Platz im eigenen Haus gefunden hat?Vielleicht stammen sie sogar aus deinem eigenen Medienhaus?Lass uns mehr darüber erfahren!In unserer Facebook-Gruppe haben wir einen Post dazu angelegt. Du kannst aber auch gerne eine Mail schreiben: [email protected] 

Lesetipp zum Wochenende

Normalerweise wollte ich dich mit einem unterhaltsamen Thema ins Wochenende begleiten. Die New York Times hat nämlich aufgeschrieben, wieso es uns eigentlich gerade so mitnimmt, dass alles plötzlich ein Kuchen ist

Dann ist der Guardian aber mit einem sehr, sehr ausführlichen Porträt über einen mit einer Marke verwobenen Mann erschienen, der zumindest in Deutschland wohl noch mehr Leute mitnimmt, nur eben auf eine andere Art. Julian Reichelt

Thomas Meaney hat den Chefredakteur von Bild, der bald auch ihr Geschäftsführer dessen wird, über einen längeren Zeitraum begleitet. Er beschreibt Reichelts Kampf gegen den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust, während das Blatt seinen politischen – zumindest den im politischen Berlin – hingegen verstärkt. Kronzeugen wie Stefan Niggemeier attestieren Reichelt, ein politisch deutlich motivierterer Chefredakteur zu sein als sein Vorgänger Kai Diekmann. Meaney schreibt:

„Reichelts Agenda besticht weniger durch Neues als vielmehr durch die knochenharte Wiederbelebung alter Kernverpflichtungen von Bild: pro-US, pro-Nato, pro-Israel, pro-Austerität, pro-Kapital, anti-Russland, anti-China.“ 

Nach alter Bild-Manier besiege man die Linke, in dem man ihre Ansichten als totalitär darstelle. Der Rechten mache man den Gar aus, in dem man sie kannibalisiere, so der Beobachter:

„Während Bild relativ wenig Material druckt, gegen das ein Anhänger der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) Einwände erheben würde, sieht Reichelt die Partei als Bedrohung für seine Bemühungen, die deutsche politische Szene neu zu gestalten.“ 

Wir erfahren in dem Porträt, dass Reichelt während einer Autofahrt gerne ein Reh überfahren würde, um dem Guardian – in Form seines Reporters – wieder ein mehr Farbe zu verleihen. Dass er sich seine Zigaretten mit einem Feuerzeug mit nackter Frau drauf anzündet, dass er Bild als das letzte Lagerfeuererlebnis der Deutschen verstehe, dass er sich als Kämpfer gegen die „Gutmenschen“ und für die „kleinen Leute“ verstehe. Reichelt:

„Wenn wir nicht existieren würden, würden sie wirklich denken, dass das ganze System gegen sie ist.“

Die These, dass Bild gesellschaftlichen Einfluss verliere, würde Reichelt wohl eher nicht unterschreiben.  

Ich wünsche ein schönes Wochenende! 

Viele Grüße 

Marvin