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Dein Lese-Letter zur Wochenmitte
Kalenderwoche 17/2025
Hallo Medieninsider!
Schön, dass du dabei bist! Was dich in dieser Woche unter anderem im Lese-Letter erwartet:
► Selbstmitleid und Plattitüden: Bild-Chefin Marion Horn sollte ernsthafte Aufklärung betreiben und im Fall Judy S. auf unabhängige Experten setzen (Editorial)
► BDZV ohne Frau: Nach Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert geht auch Geschäftsführerin Katrin Tischer (direkt zum Artikel)
► Paid-Content-IVW: Welche Publisher in den oberen Preissegmenten wachsen und wer gegen den Verlust ankämpft (direkt zum Artikel)
► Philipp Westermeyer schätzt guten Journalismus – nur verlinkt er ihn nicht gerne, wenn er was kostet (am Ende des Newsletters)
Wo bleibt die Judy-Kommission?
Die größten journalistischen Verfehlungen von Bild in eine klare Rangfolge zu bringen, ist schwer. Der Fall Judy S. aber gehört in die Top 5 – und definitiv an die Spitze der jüngeren Bild-Historie. Man könnte sogar sagen: Dieser Fall ist schlimmer als Relotius. Denn hier wurde nicht nur ein Medium schwer beschädigt, sondern auch einer Person gezielt geschadet. Auch deshalb muss schonungslos aufgeklärt werden.
Vergangene Woche wurde bekannt: Axel Springers Boulevardtitel zahlt der Berliner Polizistin im Zuge einer juristischen Auseinandersetzung eine Entschädigung in Höhe von 150.000 Euro. Was jedoch schmerzt: Die am Tag vor den Osterfeiertagen veröffentlichte Richtigstellung auf den Titelseiten der Berlin-Ausgaben, im Innenteil der Bundesausgabe und auf Bild.de. Stundenlang war das Banner auf der Startseite von Deutschlands größtem Boulevardportal platziert. Es macht deutlich, wie fundamental falsch die ursprüngliche Berichterstattung war:

Die Richtigstellung ist der vorläufige Höhepunkt der Konsequenzen nach einer fatalen Berichterstattung. Die persönlichen Folgen für die Betroffene sind kaum vorstellbar. Und die Aufarbeitung? Bisher völlig unzureichend. Alles, was bislang bekannt geworden ist, macht nur noch fassungsloser. Angefangen bei den Äußerungen von Chefredakteurin Marion Horn.

Mit der erneuten Richtigstellung veröffentlichte sie ein Posting bei Linkedin und dokumentierte damit, wie sehr sie die Realität verkennt. Nach zwei Entschuldigungen, von denen man die erste kryptisch formuliert in den Tiefen der Bild-Website versteckt hatte, nun vom „Mut zur Wahrheit“ zu sprechen, ist schlichtweg Euphemismus. Im selben Posting Bilds Erfolg beim inflationären Zitate-Ranking von Media Tenor anzuführen, nur noch zynisch. Schließlich noch zu betonen, dass die Geschädigte eine Entschuldigung bislang nicht angenommen hat, diese Horn und Kollegen jedoch so viel bedeuten würde, grenzt dann noch an Täter-Opfer-Umkehr, die sie in der Kommentarspalte auch noch untermauert.

Zu schreiben, dass man selbst am Boden liege, zeugt nicht von Reue, sondern einfach nur von Selbstmitleid.
Selbstmitleidig wird Horn auch innerhalb ihrer eigenen Redaktion wahrgenommen. Überhaupt sei das die deutlichste Reaktion von Horn auf das „Volldesaster“, wie es ein Redaktionsmitglied gegenüber Medieninsider beschreibt. Die versprochene Aufklärung? Kennen Mitarbeiter ebenfalls nur von Hörensagen. Vielmehr werde das Thema möglichst umschifft. Über die öffentlichen Erklärungen hinaus habe es innerhalb der Redaktion nur ein einziges Mailing gegeben.
Medieninsider liegt das Schreiben vor. Versandt wurde es im Mitarbeiter-Newsletter „Wir bei Bild“ am 21. März, also weit nach der falschen Berichterstattung und erst kurz nach den ersten Veröffentlichungen in anderen Medien. Auch hier entschuldigte sich die Chefredaktion und erklärte, „aus diesem Fehler lernen“ zu wollen.
„… wir überprüfen jetzt unsere internen Prozesse und stellen sicher, dass sich so etwas nicht wiederholt. Der Fall Judy S. wird von der Redaktion in aller Transparenz aufgearbeitet.“
Wie die transparente Aufklärung einen Monat später aussieht? Darüber wurde intern nicht weiter informiert. Auch ein Sprecher lässt Rückfragen dazu unbeantwortet, will „redaktionelle Prozesse und Entscheidungen sowie insbesondere interne Kommunikation mit unseren Kolleginnen und Kollegen nicht weiter kommentieren“.
In der Redaktion wirft man derweil die Frage auf, ob die Chefredaktion überhaupt ordentlich aufarbeiten will oder nur Symptome behandelt werden. Wie der Tagesspiegel bereits berichtete, hat die für die Recherche zuständige Redakteurin Bild bereits verlassen. Nach Informationen von Medieninsider geschah dies nach einer eigenständigen Kündigung.
Unabhängig von der Frage, ob die Journalistin selbst getäuscht wurde, ob sie sich hat – bewusst oder unbewusst – manipulieren lassen: Es wäre fatal, es sich jetzt leicht zu machen und die Fehler mit Plausibilitätsprüfungen, einer Art Vertrauensprinzip oder innerem Quellen- und Informantenschutz zu verharmlosen. Der Fall Judy S. ist ohne Zweifel die Geschichte eines menschlichen Versagens. Aber war es wirklich das Versagen eines Einzelnen? Kaum.
Eine Recherche wie diese wandert durch viele Hände – durch die von Ressortleitern, Mitgliedern der Chefredaktion und zuletzt durch die der obersten Führung. Wurden an diesen Stellen keine Fragen gestellt? Wurden die richtigen gestellt? Und mit welchen Antworten hat man sich abgegeben? Oder war die Story einfach zu schön-skurril, um sie durch kritisches Hinterfragen zu gefährden?
Dass die Recherche zur Recherche dringend und ernsthaft erfolgen muss, zeigt auch der Verdacht, der Bild-intern über die Flure geht und von jemandem aus der Redaktion so zusammenfasst wird: „Vielleicht gab es auch keine richtigen Nachfragen, weil die Geschichte über eine vergewaltigende trans Frau halt ins Weltbild einiger Verantwortlicher gepasst hat.“
Gedanken wie diese zeigen auch, dass die Chefredaktion schon allein aus Selbstschutz eine ordentliche Aufklärung anstoßen muss. Aber nicht durch interne Teams. Es braucht unabhängige Experten, wie sie auch der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung oder zuletzt der RBB in der Causa Stefan Gelbhaar eingesetzt haben. Erst nach einem unabhängigen Urteil kann man als Chefredakteurin das machen, wovon Horn in ihrem Posting bereits spricht: Verantwortung tragen.
Nur eine ernste und seriöse Aufarbeitung kann wiederherstellen, was hier verloren gegangen ist: Glaubwürdigkeit. Wenn es den Verantwortlichen darum überhaupt noch geht.

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„Paid daher nicht verlinkt“
Philipp Westermeyer ist einer der größten B2B-Influencer Deutschlands und, wie ich weiß, jemand mit Ehrfurcht vor gutem Journalismus. Umso eher sollte er seine Einstellung zum Journalismus hinter Paywalls überdenken.
Auf seinem WhatsApp-Kanal für den OMR Podcast teilt Westermeyer jeden Freitag ein paar Links zu Inhalten, die ihn in dieser Woche beschäftigt haben. Vergangene Woche empfahl er einen Artikel der Financial Times. Titel: Americans, it’s time to move to Europe. Gute Sache. Nur entdecken konnte man Westermeyers Empfehlung nicht. „paid daher nicht verlinkt“, so seine Begründung.

Abgesehen davon, dass einige von Westermeyers Followern durchaus ein Abonnement der FT haben dürften, wirkt es auch deshalb etwas befremdlich: Qualitätsjournalismus hinter der Paywall (Testmonat ab 1 Euro) bleibt unverlinkt, 550 Euro für ein Ticket zu einem Marketing-Festival darf man aber gerne ausgeben.
Zum WhatsApp-Newsletter von OMR geht es übrigens hier.
Viele Grüße
Marvin
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